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Iraker drängten zu den Wahlurnen

Von Georg Friesenbichler

Politik

Jaafari: "Sieg der Demokratie". | Schiitischer Sieg wird erwartet. | Bagdad/Wien. Die Parlamentswahlen im Irak sind bis zum Donnerstag Nachmittag relativ ruhig verlaufen. Zwar explodierten in Ramadi, Bagdad und Mossul schon kurz nach Öffnung der Wahllokale Sprengkörper, es gab aber nur zwei Tote - wenig im Vergleich mit den letzten Tagen oder den Wahlen zur Übergangsregierung am 30. Jänner, als es am Wahltag 40 Tote gab.


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Größere Schwierigkeiten machten die strengen Sicherheitsbestimmungen: Weil keine Autos fahren durften, war es für alte oder gebrechliche Personen kaum möglich, ihr Wahllokal zu erreichen. Einen Anschlag gab es auch auf ein irakisches Wahllokal in Stockholm. Die geworfenen Molotow-Cocktails entzündeten sich jedoch nicht.

In den meisten Städten, wo Auslandsiraker abstimmen durften, blieb es aber friedlich. So auch in Wien, wo gebürtige Iraker nicht nur aus Österreich, sondern auch aus der Slowakei, Tschechien und Ungarn ihre Stimme abgeben konnten. Wie hoch die Wahlbeteiligung war, wollte der Leiter der Wahlkommission nicht verraten. Für etwa eine Million Auslands-Iraker standen die Wahllokale in zahlreichen europäischen Ländern, aber auch etwa in den USA, schon seit Dienstag offen; bis Mittwoch Abend machten mehr als 80.000 von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Im Irak selbst gibt es rund 14 Millionen Wahlberechtigte.

Auch die Sunniten scheinen den Aufrufen vieler ihrer religiösen Führer zu folgen und sich trotz Drohungen der Al-Kaida an den Wahlen massiv zu beteiligen. Im Vorfeld waren mehrere Vertreter von gemäßigten Sunnitenparteien Opfer von Mordanschlägen geworden, die dem irakischen Zweig der Terrororganisation unter dem Jordanier Al-Zarkawi zugeschrieben wurden.

Schlangen vor Wahllokalen

Trotzdem wurden sowohl aus der Rebellenhochburg Falluja als auch aus Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit Schlangen vor den Wahllokalen gemeldet. Ministerpräsident Ibrahim al-Jaafari wertete das als Erfolg. "Wahlurnen sind ein Sieg der Demokratie über die Diktatur", sagte er bei der Stimmabgabe.

Eine starke Vertretung der Sunniten, die die Wahl der Übergangsregierung noch boykottiert hatten, im künftigen Parlament gilt als Voraussetzung dafür, dass die nationalistischen Aufständischen in den politischen Prozess integriert und die Hardliner isoliert würden, wie es US-Präsident George W. Bush formulierte. Die frisch gekürten Abgeordneten könnten die Aufmerksamkeit verstärkt auf die sunnitischen Wohngebiete lenken, die sich zurecht von der schiitisch-kurdischen Regierung vernachlässigt fühlen.

Dort ist auch die Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik besonders groß. Laut einer "Time"/ABC-Umfrage finden dort nur 25 Prozent, dass sich das Leben seit dem Sturz von Saddam, der selbst Sunnit war, verbessert habe. Nur 16 Prozent halten die Invasion durch die USA für gerechtfertigt. Ausgenommen den kurdischen Norden ist allerdings überall im Irak die Mehrheit gegen einen Verbleib der Besatzertruppen.

Risse im Regierungsblock

Trotz der sunnitischen Wahlbeteiligung wird die schiitische Dominanz im Parlament erhalten bleiben, bilden Angehörige dieses Religionszweigs doch die Bevölkerungsmehrheit. Allerdings zeigen sich im schiitischen Block, im Jänner noch eine Einheit, zunehmend Risse. Die Vereinigte Irakische Allianz, die zur Zeit über 140 der 275 Parlamentssitze verfügt, hat sich mit der Einbindung des militanten Predigers Moqtada al-Sadr einen potenziellen Spaltpilz in das 18 islamische Parteien umfassende Bündnis geholt.

Dessen Einheit wird zusätzlich von zwei Konkurrenten aus dem eigenen Lager bedroht: Vizepremier Ahmed Chalabi hat kürzlich diese Gruppe verlassen und eine eigene Allianz, den Irakischen Nationalkongress, gegründet. Abseits der religiösen Parteien versucht sich der ehemalige Übergangspremier Iyad Allawi zu etablieren - seine Irakische Nationale Liste (bisher 40 Sitze) verfolgt einen säkularen Kurs und bindet beispielsweise auch liberale Sunniten ein.

Regierung erst in Monaten

Die komplizierte Bündnislage und der Einzug der Sunniten wird eine Regierungsbildung lange hinauszögern. Schon die Bildung der Übergangsregierung, in der sich nur die religiösen Schiiten und die Kurden einigen mussten, hat drei Monate gedauert.

Mit einem mindestens so langen Zeitraum muss nun gerechnet werden. Einerseits warten konstitutionelle Hürden: Erst ein mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählter Rat kann den Premierminister nominieren. Andererseits dürfte auch die im Oktober beschlossene Verfassung schon in den Verhandlungen zum Thema werden. Vor allem die Sunniten hatten die Verfassung wegen ihres starken föderalistischen Charakters abgelehnt. Sie fürchten, von den Einnahmen der ölreichen Provinzen im Norden und Süden abgeschnitten zu werden.