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Iraker suchen verzweifelt in Massengrab nach Angehörigen

Von Huda Majeed Saleh

Politik

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Mahawil - Eine Planierraupe schaufelt die Erde in dem Massengrab südlich der irakischen Hauptstadt Bagdad beiseite. Zum Vorschein kommen Knochen und Schädel, die aufgestapelt oder in Plastiksäcken verstaut werden.

Viele Hinterbliebene graben derzeit bei Mahawil 90 Kilometer südlich von Bagdad verzweifelt nach verblassten Ausweispapieren und anderen Gegenständen, die ihren Brüdern, Vätern, Müttern oder Töchtern gehört haben könnten. Sie suchen nach Hinweisen auf das Schicksal ihrer vermissten Angehörigen. Bis zu 15.000 Menschen sollen in dieser Gegend verschwunden sein, als Saddam Hussein 1991 einen Aufstand der Schiiten niederschlagen ließ. Mehr als zehn Jahre sind seither ohne ein Lebenszeichen der Angehörigen vergangen.

Einige Bewohner des Ortes berichten von Schüssen, die sie an der Stelle des Massengrabs in jenem Jahr gehört hätten. Andere Bewohner erzählen von Lastwagen voller Leichen. Seit dem Sturz der Regierung Saddams sind viele Massengräber im Land entdeckt worden.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation amnesty international sind Fälle von 17.000 Vermissten bekannt, die während der Ära Saddam verschwunden seien. Die tatsächliche Zahl könnte aber noch viel höher sein.

Überwältigt von Trauer und Verzweiflung schüttet sich eine Frau Erde über den Kopf, aus der gerade vorher die Leichen ihrer Mutter und ihrer Schwestern ausgegraben worden waren. Es scheint, als wolle sie sich selbst damit begraben. "Ich habe meine Mutter an ihrem langen Zopf und ihrem goldenen Schmuck erkannt", sagt Bushra Jabbar. Neben ihr graben Arbeiter die Überbleibsel weiterer Leichen aus dem Boden. "Im März 1991 kamen sie und nahmen meine Mutter mit, um sie über ihren Ehemann, meinen Stiefvater, zu befragen. Er war ein Deserteur. Sie ist nie zurückgekommen."

Aliya Hussein trägt die Überreste ihres Mannes in einem Plastiksack weg. "Ich habe gedacht, dass er im Gefängnis sitzt und eines Tages zurückkommen wird", sagt sie unter Tränen. Andere scharren wortlos in Überresten von Kleidungsstücken, Geldbörsen und Brillen.

In den vergangenen sieben Tagen sind mehr als 3000 Leichen ausgegraben worden, berichtet Rafid El Husseini, ein Arzt aus dem Ort. "Vermisste Verwandte zu suchen, ist jetzt das Allerwichtigste für viele Iraker." Etwa 1500 Leichen sind von Angehörigen identifiziert und abgeholt worden. Die übrigen werden auf einem separaten Friedhof begraben.

Forensische Experten sind nicht vor Ort. Deshalb fürchten Menschenrechtsorganisation, dass Beweise für begangene Gräueltaten für immer zerstört werden könnten. "Es ist eine Tragödie, dass die Art und Weise, wie diese Gräber exhumiert werden, für viele Familien keine Gewissheit bringen wird, weil diese Leichen niemals identifiziert werden können", sagt Peter Bouckaert von der Organisation Human Rights Watch.