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Iraks Frauen bangen um ihre Rechte

Von Ellen Knickmeyer

Politik

Bagdad - Sorgenvoll starrt Salwa el Baghdadi auf die Demonstranten, die an ihrer Klinik vorbeimarschieren. Die Hände hat die junge Frau in die Taschen ihres Zahnarztkittels vergraben, das braune Haar ist unverschleiert. Eigentlich ist die 23-jährige Ärztin zuversichtlich, dass der Sturz des Regimes von Präsident Saddam Hussein den Weg für eine bessere Zukunft frei gemacht hat. Aber die Demonstranten machen ihr Angst: Tausende Männer, die für den neuen Irak eine starke Rolle des Islam fordern. Die irakischen Frauen, die bisher zu den emanzipiertesten im Nahen Osten zählen, könnten in einem islamisch geprägten Staat zurück an den Herd gezwungen werden, fürchtet Baghdadi.


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Ihre Kolleginnen nicken bestätigend. Bei der Neuordnung des Irak haben die Frauen eine Menge zu verlieren. Im ganzen Land, besonders in Schiiten-Hochburgen wie Najaf und Kerbala, werden die Rufe nach einem islamischen Staat immer lauter. Das würde die Einführung der Scharia bedeuten, der traditionellen islamischen Rechtsordnung. Mit ihrer Hilfe wurde in vielen Ländern die Rolle der Frau im öffentlichen Leben stark eingeschränkt.

Im Irak, dessen männliche Bevölkerung in drei Kriegen dezimiert wurde, ist es üblich, dass Frauen studieren und einen Beruf ausüben, in allen Branchen vom Ingenieurs- bis hin zum Gesundheitswesen. Unter Saddam Husseins Baath-Regime besuchten Mädchen sogar die militärischen Trainingslager der Staatspartei, mehrere wichtige Partei- und Regierungsämter waren mit Frauen besetzt. Nachdem Kriege, UNO-Sanktionen und Korruption den irakischen Mittelstand ruiniert hatten, war das Regime allerdings auf die Unterstützung religiöser Führer und traditioneller Stämme angewiesen. So gab es beispielsweise einen Erlass, der Frauen Auslandsreisen ohne Begleitung eines männlichen Verwandten untersagte. Wegen der finanziellen Mehrbelastung kam dies praktisch einem totalen Reiseverbot gleich. Akademikerinnen mussten erleben, dass ihnen bei der Besetzung begehrter wissenschaftlicher Stellen Männer mit schlechteren Prüfungsergebnissen vorgezogen wurden. Wegen andauernder Belästigung sahen sich viele Frauen gezwungen, gehobene Stellen wie die einer Abteilungsleiterin aufzugeben.

"Ich habe mein Selbstvertrauen verloren", erzählt Sahar, eine frühere Ingenieurin. Die heute 39-Jährige kündigte 1995, weil sie den Druck nicht mehr ertrug: Man drängte sie, Bestechungsgelder anzunehmen, und die männlichen Kollegen machten sie fertig. "Es ist sehr schwer für mich, überhaupt nur darüber nachzudenken, eine neue Stelle zu suchen", sagt Sahar. Die Mutter von zwei Kindern würde das Land gern verlassen, denn als Christin beunruhigen sie die Aussichten eines fundamentalistisch-islamischen Staates sehr. Hinzu kommt das allgemeine Elend der Bevölkerung.

Das Leben im Irak "ist eine Tragödie, die Männer und Frauen gleichermaßen erfasst", sagt die 60-jährige Sabirha. Ihre fünf Töchter und Schwiegertöchter aber sind moderne Frauen - Lehrerinnen und Ingenieurinnen mit akademischen Abschlüssen. Nur die 42-jährige Karima hat noch keinen, eigentlich war ihre Magisterprüfung für Donnerstag angesetzt worden. Das war allerdings vor dem Krieg. Dass das Examen - der krönende Abschluss für Karimas Karriere als Militäringenieurin - jetzt stattfindet, scheint unwahrscheinlich.