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Iran: Einigung in letzter Sekunde

Von Arian Faal

Politik

Davutoglu: "Keine weiteren Sanktionen nötig". | Teheran will auch selber weiter anreichern. | Der Westen reagiert skeptisch. | Teheran/Istanbul. Paukenschlag im Atomstreit mit dem Iran: Nach einem 18- stündigen Verhandlungsmarathon ist Montagfrüh in Teheran den Persern und den beiden Vermittlerländern Brasilien und der Türkei - vertreten durch Brasiliens Staatspräsident Luiz Inacio Lula da Silva und den türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan - eine (vorläufige) Einigung gelungen: Die Perser erklärten sich bereit, ihr Uran künftig im Ausland anreichern zu lassen.


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Die nun geschlossene Übereinkunft sieht vor, dass 1200 Kilogramm iranisches Uran mit einem niedrigen Anreicherungsgrad von 3,5 Prozent auf türkischem Staatsgebiet gelagert und vom Iran und der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO bewacht werden sollen. Spätestens ein Jahr später soll der Iran im Gegenzug 120 Kilogramm Uran erhalten, das auf 20 Prozent angereichert ist.

Die iranische Führung wird nun die IAEO über das Abkommen informieren. Sollten die IEAO sowie Frankreich, Russland und die USA zustimmen, kann das niedrig angereicherte Uran innerhalb eines Monats in die Türkei gebracht werden.

Einen Schönheitsfehler hat die Übereinkunft aber: Trotz der Einigung wollen die Perser auch weiterhin selbst radioaktives Material anreichern. Der Iran werde auf die Produktion von auf 20 Prozent angereichertem Uran auf seinem Territorium nicht verzichten, stellte Außenminister Manouchehr Mottaki klar. Nachsatz: Sollte das neu geschlossene Abkommen nicht erfüllt werden, wäre die Türkei verpflichtet, das Uran "sofort und bedingungslos" zu retournieren.

Peking agierte hinter den Kulissen

Das heikle Treffen galt als letzte Chance für Teheran, um neue Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat abzuwenden. An der Vorarbeit für den überraschenden Erfolg war auch Russland, vor allem aber China beteiligt, das sich damit erstmals als politischer Global Player bewiesen hat.

Peking hat sich in den vergangenen Wochen als einzige UN-Vetomacht immer wieder klar gegen neue, schärfere Sanktionen gegen Teheran gewehrt. Die Chinesen insistierten im UN-Gremium, dass mit der Absegnung eines neuen Sanktionspapiers auf jeden Fall die Ergebnisse des Dreiergipfels in Teheran abgewartet warten müssten, und sie sehen sich nun bestätigt.

Kurz nach Bekanntwerden der Einigung forderte Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad die Wiederaufnahme der internationalen Atomgespräche und meinte, es sei für die UN-Sicherheitsratsmitglieder Zeit, die Verhandlungen basierend auf "Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und gegenseitigem Respekt" wiederaufzunehmen. Dann huldigte der Hardliner Brasilien und die Türkei als Friedensmächte, die sich als Mediatoren im Konflikt bewährt hätten. Blumen streute auch der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu seinen iranischen Nachbarn: "Der Tauschhandel, der heute im Iran unterzeichnet wurde, zeigt, dass Teheran einen konstruktiven Weg einschlagen will. Es gibt keinen Grund mehr für neue Sanktionen und neuen Druck". Zuvor werteten Beobachter die Teilnahme des türkischen Regierungschefs Erdogan als große Geste des Respekts für den Iran. Er hatte sich am Sonntag kurzfristig entschlossen, doch an den Gesprächen teilzunehmen. Nachdem er seinen Besuch zuvor wegen mangelnder Zugeständnisse der iranischen Führung als "eher unwahrscheinlich" bezeichnet hatte, stieß er in der Nacht auf Montag völlig überraschend doch noch zu dem Treffen dazu. Auch Brasiliens Präsident Lula war mit dem Ergebnis zufrieden. Nach Treffen mit Staatschef Ahmadinejad und dem geistlichen Oberhaupt Irans, Ayatollah Ali Khamenei, wurde vereinbart, die Beziehungen zwischen beiden Ländern auszubauen.

"Vertrauensbildende Maßnahme, mehr nicht"

Der Westen reagierte zurückhaltend auf die neue Einigung. Wenn das Land nicht wie gefordert die Anreicherung von Uran aussetze, werde der erzielte Kompromiss keine Zustimmung finden, meinten Diplomaten. Aus dem französischen Außenamt hieß es, die überraschende Bereitschaft Teherans für einen Uran-Austausch sei allenfalls eine erste vertrauensbildende Maßnahme. Essentiell wäre nun auch die Bereitschaft Teherans, alle Bedenken der Staatengemeinschaft bezüglich seines Nuklearprogrammes aus dem Weg zu räumen und uneingeschränkte Kontrollen der IAEO-Inspektoren zuzulassen. Äußerst skeptisch reagierte auch Israel. "Die Frage ist, ob Ahmadinejad nicht wieder die ganze Welt an der Nase herumführt", meinte Handelsminister Benjamin Ben-Eliezer. Denn bisher habe Irans Präsident stets gegen sämtliche Vereinbarungen verstoßen.

Ein lange schwelender Streit

* März 2006: Der UN-Sicherheitsrat (SR) fordert den Iran auf, seine Urananreicherung binnen 30 Tagen einzustellen. Der Iran missachtet die Frist.

* Dezember 2006: Der SR verhängt Sanktionen. UN-Ländern wird unter anderem die Lieferung von Atomtechnologie an Teheran untersagt. Der Iran gibt sich unbeeindruckt.

* März 2008: Der SR beschließt schärfere Zwangsmaßnahmen. Auch die EU verschärft die Sanktionen.

* Juli 2008: Iran droht bei einem Angriff auf seine Atomanlagen mit massiver Vergeltung.

* November 2008: Der Iran gibt den Besitz von 5000 Zentrifugen zur Urananreicherung bekannt.

* Juni 2009: Iran nahm weitere 1000 Gaszentrifugen im Atomzentrum Natanz in Betrieb und besitzt knapp 1,4 Tonnen niedrig angereichertes Uran.

* Oktober 2009: Internationale Atom-Gespräche in Genf enden erfolglos.

* November 2009: Die IAEO kritisiert die jahrelang geheim gehaltene iranische Urananreicherungsanlage bei Ghom.

* Februar 2010: Der Iran zeigt sich bereit, Uran im Ausland auf 20 Prozent anreichern zu lassen. Wenige Tage später rudert Teheran wieder zurück.

* Februar 2010: Der Iran verkündet, 3,5-prozentiges Uran auf 20 Prozent angereichert zu haben und in der Lage zu sein, es auf atomwaffentaugliche 80 Prozent anzureichern.

* April 2010: Nach langem Widerstand gegen neue Sanktionen ist China bereit, sich an den Verhandlungen über den Text einer verschärften UN-Resolution zu beteiligen.

Zur Abwehr neuer Sanktionen besucht Irans Außenminister Manouchehr Mottaki kurz darauf Österreich. Gespräche mit dem Chef der IAEO, Yukija Amano, und Außenminister Michael Spindelegger bringen jedoch keinen Durchbruch.

* 17. Mai: Der Iran lenkt ein und will sein Uran von jetzt an zum Teil im Ausland anreichern lassen.