Nervosität in der Führung wächst. | Rafsanjani schart Ayatollahs um sich. | Teheran/Wien. "Ihr wisst, welche Verantwortung wir in dieser Situation haben. Es geht nicht nur um uns, es geht um die Zukunft des Iran." Mit diesen Worten eröffnete der zweitmächtigste Mann Irans, Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, am Sonntag eine dringliche Sitzung der führenden Kleriker des Landes in der nordöstlichen Gebetsstadt Mashad. Nach seiner offenen Kritik beim vergangenen Freitagsgebet an der Führung will Rafsanjani die seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl andauernde politische Krise erörtern. Indirekt antwortete am Montag der oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, auf Rafsanjanis Kritik: "Unsere Gelehrten sollen vorsichtig sein, was sie sagen und was sie nicht sagen", meinte er bei einem Treffen mit Staatsbeamten.
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Damit herrscht auch knapp sechs Wochen nach dem offiziellen Wahlsieg des Hardliners Mahmoud Ahmadinejad keine Spur von politischer Normalität. Für Zwischenrufe, die von erzkonservativen Anhängern Ahmadinejads kommen, hat der 75-jährige Rafsanjani nicht mehr als ein Lächeln übrig. Auch dass sein Gebet "nur" vom staatlichen Radio gekürzt übertragen wurde und nicht wie sonst üblich vom Fernsehen stört ihn nicht. Er kann sich sicher sein, dass es das meistbeachtete Freitagsgebet der islamischen Republik war.
Fest steht, dass er es noch einmal wissen will. Und zwar um jeden Preis. So wundert es auch nicht, dass fast alle Ayatollahs seinem Ruf gefolgt sind und ebenfalls dringenden Handlungsbedarf sehen. Die Liste der Probleme, die es in Mashad zu besprechen gab, war lang: Zum einen die Wahl, die - das geben sogar konservative Kleriker zu - "nicht ganz reibungslos, transparent und günstig" abgelaufen ist. Dann das protestierende Volk, das man nicht so einfach ruhigstellen kann. Wer hätte sich vor zwei Monaten noch getraut, öffentlich "Tod Khamenei" zu rufen? Khamenei hat durch seine offene Unterstützung Ahmadinejads bei der Wahl in den Augen des Volkes und nach Meinung vieler Geistlicher einen derartigen Prestige- und Autoritätsverlust erlitten, dass er untragbar geworden ist.
Verwirrung um den Vize
Doch nur ein Gremium im Land ist befugt, den obersten Führer abzusetzen, der Expertenrat. Dieser Zirkel aus 86 Mullahs bestimmt über die Zukunft der islamischen Republik, geleitet wird er von Rafsanjani. Die vorwiegend über-70-jährigen Geistlichen haben seit der Wahl das Mobiltelefon als Kommunikationsmittel für sich entdeckt. Jeden Tag berät man sich, und alle wissen, sobald 44 von ihnen sich gegen die Anerkennung des Wahlsieges von Ahmadinejad entscheiden, sind auch die Stunden Ali Khameneis gezählt. 39 soll Rafsanjani schon überzeugt haben, gegen Ahmadinejad zu unterschreiben.
Doch das ist noch lange nicht alles, was es zu beraten gab: "Wie will so ein Präsident eine Regierungsmannschaft zusammenstellen?", fragte einer der Anwesenden in Mashad und witzelte damit indirekt über die Ernennung des ersten Vizepräsidenten Rahim Mashaie. Ahmadinejad hatte ihn am Freitag zu seinem Stellvertreter nominiert und sofort heftige Kritik aus den Reihen der Konservativen geerntet.
Mashaie hatte vor einem Jahr erklärt, der Iran sei "ein Freund des israelischen Volkes" und in den USA lebe "eines der besten Völker der Welt". Am Sonntag hatte der englischsprachige staatliche Sender Press TV berichtet, der Vizepräsident habe nach der Kritik bereits wieder seinen Rücktritt erklärt, was Mashaie aber heftig dementieren ließ. Es handle sich um "ein Gerücht und eine Lüge", die von "Feinden der Regierung" verbreitet worden seien. Er gilt als enger Vertrauter Ahmadinejads, seine Tochter ist mit dem Sohn des Präsidenten verheiratet. Seine Ernennung ging der Neubildung der iranischen Regierung voraus, die für den kommenden Monat erwartet wird.
Letztlich waren auch die desolate Wirtschaft des Landes und der beängstigend wachsende Einfluss der Milizen ein Thema. "Geht der Iran auf ein Militärregime zu? Das steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der islamischen Republik", empörten sich einige Geistliche. Der Gedanke ist nicht so weit hergeholt, denn bei einer Pressekonferenz erklärte General Mohammed Ali Jafari, seine Revolutionsgarden hätten "die Aufgabe erhalten", während der großen Proteste die Situation unter Kontrolle zu bringen. So hätten sie die Initiative ergriffen und die eskalierenden Unruhen unterdrückt.
Militärputsch?
Für viele ist dies eine Bestätigung für einen Militärputsch im Zusammenhang mit Ahmadinejads gefälschter Wiederwahl. Man rätselt nun darüber, ob die Garden gegenüber den anderen Apparaten wie dem Innen- und dem Geheimdienstministerium die Oberhand gewonnen haben. Auf der anderen Seite geht das Gerücht um, dass Khameneis Sohn Mojtaba während der Unruhen den Befehl über die Basij-Milizen übernommen hat, was den Garden gar nicht passt.
Bei all diesen Diskussionen war man sich einig, dass schnell etwas geschehen müsse. Die Massenproteste haben eine tiefe Spaltung der Gesellschaft offengelegt. Der reformorientierte Ex-Präsident Mohammed Khatami beispielsweise hat nun angeregt, das Volk zu befragen, ob es mit der derzeitigen Situation - das heißt dem Ahmadinejad-Sieg - zufrieden ist.