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Iran-Proteste: "Nun gibt man Khamenei die Schuld"

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die regierungskritischen Demonstrationen im Iran gingen den dritten Tag in Folge weiter. Die Zahl der Teilnehmer ist zwar noch gering, doch Iran-Experten sehen eine neue Qualität der Proteste.


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Vor nicht einmal einer Woche schien der Iran so geeint wie schon lange nicht mehr. In Teheran und anderen Städten hatten sich hunderttausende Menschen versammelt, um Qassem Soleimani die letzte Ehre zu erweisen und ein gemeinsames Zeichen gegen die gezielte Tötung des hochrangigen Generals zu setzen. Und in den Vereinigten Staaten musste sich Präsident Donald Trump den Vorwurf gefallen lassen, er habe mit dem von ihm persönlich befohlenen Drohnenangriff auf Soleimani vor allem erreicht, dass sich die Iraner mit den Hardlinern in der Staatsführung solidarisieren.

Seit der Iran am Samstag zugegeben hat, dass das Militär für den versehentlichen Abschuss eines ukrainischen Passierflugzeuges bei Teheran mit 176 Toten verantwortlich ist, zeigt sich vor allem in den sozialen Medien aber ein ganz anderes Bild. Auf den dort hochgeladenen Videos, die in vielen Fällen die einzige regierungsunabhängige Quelle darstellen, sind Demonstranten zu sehen, die bei Kundgebungen "Nieder mit den Klerikern" rufen. In anderen über das Internet verbreiteten Aufnahmen ist sogar zu hören, wie die Menge "Tod dem Diktator" skandiert - eine kaum misszuverstehende Anspielung auf Ajatollah Ali Khamenei, der die Geschicke des Landes als geistliches und staatliches Oberhaupt seit dem Tod von Revolutionsführer Khomeini im Jahr 1989 bestimmt.

"Schlagzahl nimmt zu"

Verglichen mit den Massen, die an den Trauerfeierlichkeiten für Soleimani teilgenommen haben, sind die Proteste derzeit noch klein. Über das Wochenende dürften in Teheran, Isfahan und einige anderen Städten nicht viel mehr als zehntausend Menschen auf die Straßen gegangen sein.

Doch schon jetzt zeigt sich, dass die Führung in Teheran die auch am Montag fortgesetzten Proteste als Bedrohung betrachtet. So ist auf einigen Videos zu sehen, wie sich die iranische Bereitschaftspolizei mit großem Aufgebot in Stellung bringt und bewaffnete Männer, die offenbar den Sicherheitskräften angehören, mit Schlagstöcken auf Demonstranten einprügeln. Auch Schüsse sollen bei den Protesten in Teheran gefallen sein, wenngleich Polizeichef Hossein Rahimi am Montag dezidiert ausschloss, dass seine Einheiten das Feuer auf Demonstranten eröffnet haben.

Angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre halten es auch Iran-Experten wie der an der österreichischen Landesverteidigungsakademie lehrende Walter Posch durchaus für möglich, dass sich die aktuellen Proteste noch deutlich auswachsen. "Die Frustration der Bevölkerung im Iran ist ja im Prinzip nichts Neues", sagt Posch gegenüber der "Wiener Zeitung". "Doch zuletzt ist die Schlagzahl immer höher geworden. Gab es früher im Iran einmal pro Jahr Massenproteste, so erleben wir das nun mehrmals pro Jahr."

Bei den Protesten der vergangenen Tage sieht Posch zudem ein anderes Muster als in der Vergangenheit. So hätten sich die großen Benzinpreisproteste im November, bei denen es mehrere hunderte Tote gegeben haben soll, vor allem gegen den als vergleichsweise moderat geltenden Staatspräsidenten Hassan Rouhani und seine Wirtschaftspolitik gerichtet. "Im aktuellen Fall wird allerdings dem Oberbefehlshaber aller Streitkräfte, also Ajatollah Ali Khamenei, die Schuld gegeben", sagt der Iran-Experte,

"Opposition verhindert"

Posch zufolge gibt es allerdings nach wie vor keine landesweit übergreifende Protestbewegung im Iran. "Dem Regime ist es bis jetzt erfolgreich gelungen, eine geschlossene und organisierte Opposition zu verhindern", sagt Posch. "Doch jede dieser Massendemonstrationen ist ein Stresstest für das Regime, der nicht nur zu einer Überreaktion führen kann, sondern auch die Legitimation des gesamten politischen Systems untergräbt."