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Iran wittert durch Erstarken der Islamisten Morgenluft

Von Ines Scholz

Politik

Enge ägyptisch-iranische Achse nicht zu erwarten, meint Experte Posch.


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Teheran. In Teheran wurde die Nachricht mit Freude aufgenommen. Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi hat, kaum war sein Wahlsieg offiziell, die Verbesserung des Verhältnisses zum Iran zu einer seiner außenpolitischen Prioritäten erklärt. Vor allem seine Begründung lässt aufhorchen: Eine Annäherung, so Mursi, würde "ein wirksames strategisches Gleichgewicht in der Region" herstellen. Dies wird von Saudi-Arabien und den anderen westlichen Verbündeten als deutliche Warnung verstanden. Sie befürchten nach dem Siegeszug der Islamisten eine weitere Stärkung des iranischen Einflusses in der Region. Entsprechend zurückhaltend fielen auch die Gratulationen zu Mursis Sieg aus.

Bisher war auf Ägypten, immerhin das wichtigste Land in der arabischen Welt, Verlass. Das Land zählte unter dem gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak zu den schärfsten Gegnern des iranisch-syrischen Bündnisses sowie deren Ausläufern im Gazastreifen (Hamas) und im Südlibanon (Hisbollah). Den Muslimbrüdern waren, obwohl selbst Sunniten, die pro-westlichen Golfmonarchien indes schon immer ein Dorn im Auge. Nun sehen sie ihre Chance gekommen, die politischen Kräfteverhältnisse aufzumischen. Mit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen, die das iranische Schiitenregime wegen des ägyptischen Friedensvertrags mit Israel 1979 abgebrochen hatte, wäre der erste Schritt getan.

Ägyptens mächtige Militärs haben in außenpolitischen Belangen allerdings auch in Zukunft ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Dass sie eine Iran-affine Politik anstreben, gilt als unwahrscheinlich. Immerhin erhält Ägypten US-Finanzhilfen in der Höhe von 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr.

"Der Druck auf Israel

wird steigen"

Ins Schussfeld geriete im Falle eines ägyptisch-iranischen Zusammenrückens jedenfalls Israel. Der jüdische Staat sieht sich durch Irans Atomprogramm bedroht, ein pro-iranisches Regime an seiner Südflanke würde eine weitere Schwächung seiner Sicherheit bedeuten. Nicht nur die gemeinsame Grenzüberwachung wäre in Frage gestellt, der Schulterschluss würde auch das unter Mubaraks Vorgänger Anwar al-Sadat vereinbarte Camp-David-Friedensabkommen ins Wanken bringen. Mursi beteuerte am Sonntag zwar, alle internationalen Verträge achten zu wollen. Tags zuvor soll er gegenüber der regimenahen iranischen Nachrichtenagentur Fars aber eine Überarbeitung des Vertrags angekündigt haben, was der 60-Jährige jedoch heftig dementiert.

"Der Druck auf Israel wird steigen", ist der Iran-Experte Walter Posch überzeugt. Dass Mursi den Camp-David-Vertrag de facto in Frage stellen wird, glaubt er aber nicht. Mursi habe ja bereits versichert, die internationalen Verträge zu respektieren.

Auch in der angekündigten Verbesserung der Beziehungen zum Iran sieht er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" eher einen taktischen Schachzug. Den Muslimbrüdern gehe es in erster Linie darum, "den Handlungsspielraum für Ägypten auszudehnen", meint Posch von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Es ist der Trick aller sunnitischen Islamisten, sich an den Iran anzulehnen, wenn sie mit Saudi-Arabien unglücklich sind und dem Westen eine Lektion erteilen wollen."

Dennoch ist laut dem Österreicher nach dem Arabischen Frühling, der die islamistischen Kräfte nach oben gespült hat, ein Wandlungsprozess im Gang, der auch das iranisch-ägyptische Verhältnis beeinflusst. "Die alte Zeit der Diktaturen ist vorbei", der Iran versuche daher, neue Verbündete zu suchen, sagt Posch.

Der Sturz Muammar al-Gaddafis in Libyen habe Teheran "kaum tangiert". Ägypten sei für die Iraner jedoch ein wichtiges Land. Von einer möglichen künftigen "Achse" will der Islamwissenschafter aber nicht reden - selbst in den iranisch-syrischen Beziehungen sei es nicht mehr als eine Interessenskonvergenz. "Der Iran ist gut im Überwinden von Differenzen, wenn es darum geht, den westlichen Einfluss in der Region zurückzudrängen". Daneben gehe es Teheran darum, vom Westen als "waffenfähige Atommacht anerkannt zu werden". Dies würde das Schiitenregime im regionalen Machtkampf gegenüber den Saudis und den anderen Monarchien stärken. Dazu wäre die iranische Regierung sogar zu Kompromissen bei der Urananreicherung bereit, ist Posch überzeugt.