)
Wenn Bundespräsident Thomas Klestil am Samstag mit einer großen Delegation in den Iran aufbricht, kommt er in ein Land, in dem im Vorfeld der Parlamentswahlen am 20. Februar ein heftiger Machtkampf tobt. Für die Islamische Republik geht es um eine Weichenstellung zwischen mehr Demokratie und restriktivem Gottesstaat. Eine Änderung der Fahrtrichtung könnte allerdings auf die künftigen Beziehungen mit dem Westen nur wenig Auswirkungen haben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Im Iran herrscht ein ungewöhnlicher Wahlkampf. Parlamentsabgeordnete befinden sich im Sitzstreik, um wieder kandidieren zu dürfen. Auslöser dafür war die Entscheidung des mächtigen Wächterrates vom 11. Jänner, von 8.150 Bewerbern um eine Parlamentskandidatur rund 3.600 - meist wegen "Verstößen gegen den Islam" - auszuschließen. Darunter sind 80 Kandidaten, die bereits in dem "Majlis" (=Versammlung) genannten Parlament sitzen. Besonders betroffen war mit der IIPF die größte Fraktion der Koalition, die den reformfreudigen Präsidenten Mohammed Khatami unterstützt. Von 67 dieser Partei angehörenden Abgeordneten wurden nur zwei vom Wächterrat zugelassen. Unter den Ausgeschlossenen war auch der IIPF-Parteiführer und stellvertretende Parlamentssprecher Reza Khatami - der jüngere Bruder des Präsidenten.
Die Reaktionen waren heftig. Relativ leicht verschmerzbar war für die Hardliner wohl die negative Reaktion von "Erzfeind" USA. Schwerer wogen vermutlich schon die Bedenken der europäischen Staaten, die mit dem Iran den Dialog aufrechterhalten haben - EU-Außenbeauftragter Javier Solana erklärte kürzlich in Teheran, wenn der Ausschluss nicht rückgängig gemacht werde, seien die Wahlen nicht glaubwürdig.
Im Land selbst gab es gleichfalls Widerstand - nicht nur im Parlament, im Innenministerium und bei den Provinzgouverneuren, sondern auch in Zeitungen, die bisher eher den Konservativen nahe standen. So wurde in der "Iran News" die Frage diskutiert, ob der Beschluss des Wächterrates aus formalen Gründen überhaupt rechtmäßig war, weil das zwölfköpfige Gremium nur mit elf Mitgliedern handelte. Und "Iran Daily" beharrte in einem Kommentar darauf, die Überwachungsgremien müssten die Legalität ihrer Vorgehensweise durch Offenlegung ihrer Gründe zeigen. Ansonsten könnte die Bevölkerung das Vertrauen ins System verlieren und den Wahlen fernbleiben.
Geordneter Rückzug
Letzteres käme den konservativen Kräften möglicherweise sogar gelegen. Eine geringe Wahlbeteiligung könnte ihnen eine Blamage wie bei den vergangenen Wahlen, bei denen die Reformer einen überwältigenden Sieg errangen, ersparen. Mittlerweile hat "Führer" Ali Khamenei, ohne dessen Duldung der Beschluss des Wächterrates kaum vorstellbar wäre, allerdings einen geordneten Rückzug angetreten. Er, dem laut Verfassung die Rolle eines Vermittlers zukommt, forderte den Wächterrat auf, seine Entscheidung zu überprüfen. Tatsächlich wurden die ersten Ausschlüsse von Kandidaten bereits zurück genommen. Aber auch die Ankündigung, dass weitere Urteilsrevisionen folgen würden, konnte die gemäßigten Kräfte in der Regierung nicht wirklich beruhigen. Die Rücktrittsgesuche der Minister liegen für den Fall der Fälle schon in der Schublade. Die endgültige Kandidatenliste wird am 12. Februar veröffentlicht.
Kleriker im Aufwind
Ob sich der Optimismus von Präsident Khatami, die Krise bewältigen zu können, als begründet erweist, wird sich somit erst zeigen. In jedem Fall deutet der Vorstoß der konservativen Kleriker darauf hin, dass sie sich im Aufwind fühlen. Dem Druck der USA seit Beginn 2002, als Präsident Bush den Iran zur "Achse des Bösen" zählte, hat man sich durch die überraschende Kehrtwendung in der Atompolitik geschickt entzogen. Die prinzipielle Zustimmung, das Nuklearprogramm friedlich zu nutzen und das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, kam zwar von Präsident Khatami. Über die Details aber durfte Hassan Rowhani verhandeln, Chef des Sicherheitsrates und ein Vertrauter des geistlichen Führers Khamenei.
Rowhani bereiste seitdem Europa und Russland und deutet durch seine Präsenz an, dass die Konservativen nicht gewillt sind, dem Reformer Khatami das Feld der Außenpolitik zu überlassen, auf dem er durch eine Politik der Öffnung seine größten Erfolge feierte. Ebenso sprechen die guten Beziehungen zum irakischen Regierungsrat und die mögliche Wiederaufnahme von Beziehungen mit Ägypten, jenem arabischen Staat, der mit Israel Frieden geschlossen hat, für einen neuen Pragmatismus in der Außenpolitik des Klerus.
Männer wie Rowhani sollen auch zeigen, dass auf die Konservativen Verlass ist, mehr noch: dass sie mehr umzusetzen vermögen als die Reformer, die in Dauerkonfrontation mit dem theokratischen Staatssystem wenig von ihren Vorhaben verwirklichen können.
Vom Präsidenten enttäuscht
Ein ähnliches Problem quält Khatami und seine Anhänger auch in der Innenpolitik. Zwar haben auch hier die Reformschritte einiges gebracht, was sich vor allem in der deutlich gestiegenen Liberalität gegenüber Kleidung und Verhalten auf den Straßen bemerkbar macht. Auf der anderen Seite wurden die Vorstöße zur Lockerung des Pressegesetzes mit dem Verbot von etwa 80 reform-orientierten Publikationen gekontert, rund 20 Journalisten und Dissidenten eingesperrt. Von 295 Gesetzesvorlagen, die das Parlament eingebracht hatte, wurden 111 vom Wächterrat abgelehnt.
Viele, die Khatami 2001 zu einem Wahltriumph verholfen haben, sind enttäuscht von der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit. "Der Trotz der Abgeordneten kann nicht die Tatsache verschleiern, dass die Reformbewegung des Präsidenten an Schwung verloren hat", analysiert das renommierte Magazin "The Economist".
Die Unzufriedenheit wird durch die schlechte Wirtschaftslage genährt. Die Reformer hätten zu viel Wert auf Erziehung und Kultur statt auf die Ökonomie gelegt, so die Vorwürfe der Konservativen. 40 Prozent der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, die Inflation liegt bei rund 15, die Arbeitslosigkeit bei über 16 Prozent. Es ist ungewiss, ob sich diese Probleme auf die Wahlen - wenn sie denn in regulärer Form stattfinden - nicht stärker auswirken als der parlamentarische Sitzstreik, von dem weite Teile der Bevölkerung durch das von den Hardlinern diktierte Fernsehen ohnehin wenig erfahren. Ein Besuch aus Österreich, der wirtschaftliche Kooperation in den Mittelpunkt stellt, ist jedenfalls angesichts der ökonomischen Lage willkommen.
Der Wächterrat
Gesetze, die vom iranischen Parlament beschlossen werden, treten nicht automatisch in Kraft. Zuvor wird vom Wächterrat geprüft, ob sie mit den islamischen Grundsätzen übereinstimmen. Er bildet somit eine Art Oberhaus, das die Möglichkeit hat, die vom Unterhaus - dem Parlament - vorgeschlagenen Gesetze abzulehnen. Davon hat er in letzter Zeit reichlich Gebrauch gemacht: Seit die Reformkräfte die Mehrheit im Parlament haben, wurde ein Großteil der Gesetzesinitiativen zurückgewiesen. Unter diesen war im August vergangenen Jahres neben der Erweiterung der Frauenrechte und Maßnahmen gegen die Folter auch der Vorschlag der Reformkräfte, die Rechte des Rates bei der Zulassung von Parlamentskandidaten zu beschneiden. Damit sollte genau die Situation verhindert werden, die jetzt entstanden ist. Mit seiner Ablehnung des Gesetzesentwurfs zementierte der Wächterrat aber seine Position und entscheidet weiter über die ideologische und religiöse Zuverlässigkeit von Bewerbern um eine Kandidatur und damit über ihre Zulassung. Eine Ablehnung geschieht ohne öffentliche Begründung, ein Mitglied erläuterte aber: "Wenn die Person verdorben ist oder ungerechtfertigte Aussagen formuliert oder geschrieben hat, wird sie ausgeschlossen." Der Wächterrat gilt seit jeher als Gremium der konservativen Führung zur Überwachung von Reformkräften. Die Hälfte der Mitglieder werden direkt vom obersten Führer des Landes, Ayatollah Ali Khamenei, ernannt. Weitere sechs Mitglieder sind Rechtsgelehrte, die der Chef der Justiz, wiederum ein Konservativer, vorschlägt.
Der Führer
In der Islamischen Republik Iran wird das geistliche Oberhaupt schlicht als "Führer" bezeichnet. Dies entspricht auch seiner tatsächlichen Macht, denn er steht in der Rangordnung über dem gewählten Präsidenten. Seit dem Tod von Ayatollah Khomeini im Jahr 1989 hat das Amt Ayatollah Ali Khamenei inne, der zuvor seit 1981 Präsident gewesen war. Anders als der Präsident wird der Führer von der so genannten Expertenversammlung auf Lebenszeit ernannt. Zu Khomeinis Zeiten hatte es auch die theoretische Möglichkeit gegeben, den Führer vom Volk wählen zu lassen. Mit einer Verfassungsänderung nach Khomeneis Tod wurde dies abgeschafft, änderte aber nichts am Status des Führers. Weiterhin hat er in allen Staatsfragen das letzte Wort, ist ebenso Oberbefehlshaber des Heeres wie Herr über das Rechtswesen. Er kann sogar die Regierungsbildung, die dem Präsidenten obliegt, beeinflussen.
Der Präsident
Zweithöchste Autorität hinter dem Führer ist der Präsident. Er wird für vier Jahre gewählt, kann aber nur zwei Legislaturperioden absolvieren. Für den derzeitigen Präsidenten Mohammed Khatami, der erstmals im Jahr 1997 und zum zweiten Mal 2001 mit triumphalen 77 Prozent gewählt worden war, endet seine Amtszeit also im Juni 2005. Mit der Verfassungsänderung, die nach dem Tod Khomeinis im Jahr 1989 vollzogen wurde, wurde das Amt des Premierministers abgeschafft und seine Agenden auf den Präsidenten übertragen. Er überwacht die Arbeit des Parlaments, unterzeichnet internationale Verträge und verwaltet das Budget. Er sucht die Minister aus, um dann das Parlament um das Vertrauen für seine Regierung zu bitten. Seit den Wahlen im Jahr 2000 kann sich Khatami auf eine solide Mehrheit im Parlament verlassen. Rund 200 der insgesamt 290 Abgeordneten gelten als reformorientiert.