Zum Hauptinhalt springen

Iranische Proteste, Flüchtlinge und die allgemeine Scheinheiligkeit

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Noch am selben Tag, an dem aus Teheran die Videos von niedergeknüppelten Demonstranten eintrafen, meldete sich US-Außenministerin Hillary Clinton zu Wort. Sie wünschte der Opposition "dieselben Möglichkeiten, die ihre ägyptischen Pendants in den vergangenen Wochen errungen haben". Gleichzeitig kritisierte sie die Heuchelei des iranischen Regimes, die Proteste im eigenen Land niederzuschlagen, während es jene in Ägypten lobte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wer aber im Glashaus sitzt . . . Die USA haben lange gebraucht, um von ihrer jahrzehntelangen Unterstützung von Hosni Mubarak abzugehen. Stattdessen wurde abgewartet, wie sich der Volksaufstand entwickeln würde. Auch sonst ist die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte sehr selektiv. Gegenüber umworbenen Partnern wie China oder Russland gehören solche Appelle nur zum Pflichtprogramm, wenn Menschenrechtsaktivisten darauf drängen und es ins eigene Machtkalkül passt. Das mag man mit realpolitischen oder geostrategischen Überlegungen begründen können - man sollte es aber auch im Kopf haben, wenn die Menschenrechte als Argument gegen feindliche oder schwache Regime benutzt werden.

Noch länger brauchen freilich die Europäer, um sich auf die geänderten Bedingungen in der Region einzustellen. Wochenlang fiel der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton zu Tunesien und Ägypten nichts ein, womit sie gleichzeitig die Schwäche der EU-Außenpolitik demonstrierte, die zu beseitigen ihr Amt eigentlich geschaffen wurde. Nun versprach sie den Tunesiern lächerliche 17 Millionen Euro Soforthilfe. Wie schnell die anderen außerordentlichen Zuwendungen zu fließen beginnen, steht in den Sternen.

Dabei waren schon bisher die Töpfe für gutnachbarliche Beziehungen wohl gefüllt. Im Haushalt von 2007 bis 2013 sind eine Milliarde Euro für Ägypten vorgesehen, für Tunesien 540 Millionen Euro. Das Geld sollte zwar auch der guten Regierungsführung zugute kommen, in der Praxis wurden damit aber nur die Handelsströme gefördert - und damit die korrupten Diktaturen gestützt.

Die Ungeduld der Tunesier kann daher nicht erstaunen. Die Unzufriedenheit mit der Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt ihrer Heimat, die Antriebsfeder für die Revolution war, lässt viele von ihnen nun ihr Heil in Europa suchen. Der Umgang damit offenbart weitere Unzulänglichkeiten der EU: Nicht nur war man vom plötzlichen Zustrom völlig überrascht, einmal mehr zeigte sich auch die Hilflosigkeit der europäischen Asyl- und Zuwanderungspolitik.

Abseits der Stimmungsmache der Italiener sind ihre Beschwerden berechtigt, mit den Flüchtlingsströmen allein gelassen zu werden. Zu dem Mangel an europäischer Solidarität, den auch Spanier und Griechen beklagen, tragen Deutschland und Österreich ihr Scherflein bei, indem sie sich einer Lastenteilung verweigern. Scheinheiligkeit allenthalben.