Iran leitet eine diplomatische Großoffensive ein - steht aber auch militärisch der schiitischen Führung in Bagdad bei.
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Bagdad/Teheran. Während im Irak der blutige Eroberungszug der islamistischen Gruppierung Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isil/Isis) voranschreitet und fast stündlich neue Gebiete eingenommen werden, läuten in Teheran die Alarmglocken. Hinter vorgehaltener Hand gibt es zwar eine gewisse Genugtuung ob der "vom Westen verursachten" chaotischen Zustände im ehemals verfeindeten Nachbarland - tatenlos zusehen werden die Perser aber keineswegs, wenn die Isis ihren Einflussbereich vergrößern und die Macht von der irakischen Regierung ins Wanken bringen will. Der iranische Präsident Hassan Rohani sicherte dem "Bruderstaat" seine uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Isis zu.
Eine nun gestartete diplomatische Großoffensive Teherans ist nicht ganz uneigennützig, will man doch seine eigene regionale Vormachtstellung mit einer schiitischen Regierung im Irak zementieren. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Rohani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki in mehreren Telefonaten.
Sonderkommission formiert
Eine Sonderkommission für den Irak wurde formiert, die sich um die strategische Unterstützung kümmern soll. Außenminister Mohammad Jawad Zarif wird sicherlich alle diplomatischen Möglichkeiten auszuschöpfen: Nach mehreren Krisen-Telefonaten mit den Außenministern in der Region, darunter jenem aus der Türkei, aus Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten, hat der iranische Chefdiplomat auch einige Hebel in der UNO in Bewegung gesetzt. Von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte er ebenso wie von der Organisation für Islamische Zusammenarbeit "sofortige gemeinsame Maßnahmen gegen die Terrorgruppe im Irak.
Neu ist die Sorge um das krisengebeutelte Land allerdings nicht. Das weiß auch Zarif. Bereits die irakischen Parlamentswahlen Ende April waren für die Schiiten eine Nagelprobe. In vergangenen Wochen waren bei Anschlägen von Extremisten mehrere Dutzend Menschen getötet und Hunderte verletzt worden.
Die Botschaft hinter den Anschlägen ist klar: Die radikalen Sunniten wollen verhindern, dass die Schiiten, die unter dem Einfluss des Iran regieren, die Federführung des Landes behalten. Die Isis hat kein Interesse daran, dass der Iran seine Fühler in Syrien und dem Irak ausstreckt.
Ob der Iran neben der diplomatischen Schiene bereits Truppen ins Nachbarland entsandt hat, ist zumindest offiziell noch nicht bestätigt worden. Doch aus informierten Kreisen erfuhr die "Wiener Zeitung", dass bereits einige Hundert Revolutionsgardisten im Irak eingetroffen seien. Nach Auffassung Teherans sind die Erfolge der Isis auch eine Konsequenz der westlichen Politik in der Syrien-Krise. Terroristen sei nicht nur Spielraum gegeben worden, man habe sie sogar ermutigt. Für das schiitische Land ist es eine Genugtuung, auch gegenüber der Türkei und Saudi-Arabien, dass deren Unterstützung für die islamistischen Rebellen in Syrien zu einer Eskalation der Krise geführt habe.
Hassliebe zwischen Ländern
Dennoch wird die Führung in Teheran alles daran setzen, um den unliebsamen Einfall der Isis im Irak so rasch als möglich zu unterbinden. Neben Diplomatie und Truppen wurde dem Bruderstaat auch jegliche finanzielle Unterstützung zugesagt, "um den Terror zu unterbinden".
Warum ist Teheran am ehemaligen Erzfeind nach dem blutigen Irak-Iran-Krieg in den 1980er Jahren plötzlich dazu übergegangen, den Nachbarn als "Bruderstaat" zu bezeichnen? Die Waffenruhe Ende der 1980er Jahre beendete zwar den Krieg, nicht aber die tiefe Feindschaft gegenüber dem Regime Saddam Husseins: So, wie einst Schah-kritische Perser - unter ihnen Revolutionsvater Ayatollah Ruhollah Khomeini höchstpersönlich - im Irak Zuflucht fanden, nahm die Führung in Teheran damals, freilich nicht ganz uneigennützig, irakische Saddam-Gegner auf, besonders Schiiten und Kurden. Viele dieser Schiiten sind nun in den Irak zurückgekehrt und sitzen an den Hebeln der Macht.
Summa summarum herrscht zwischen Teheran und Bagdad eine Hassliebe. Die vergangenen 35 Jahre haben gezeigt, dass es mit der Brüderlichkeit zwischen den beiden Nachbarn nicht zum Besten bestellt ist, doch die Wut auf die USA und Israel und der Status als Öl-Macht liefern dennoch die Basis für ein gemeinsames Interessensfeld.