Von der US-Politik im Irak profitiert vor allem der Iran. | Bürgerkrieg im US-besetzten Gebiet? | Teheran/Bagdad. Das "Pulverfass" Naher Osten, allen voran der Irak, könnte für die Amerikaner weitaus gefährlicher werden als bisher angenommen. Der Prozess gegen Saddam Hussein, einzige präsentierbare Trumpfkarte der USA in der kostspieligen Operation, wird über die gefallenen US-Soldaten auch nicht hinwegtäuschen können.
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Obwohl sich ein Großteil der irakischen Bevölkerung mit der Verfassung wohl oder übel abfinden wird, ist ein Ende der Krise im Irak nach wie vor in weiter Ferne. Der Ägypter Amr Mussa, Generalsekretär der Arabischen Liga, warnte sogar kürzlich, das Land stehe unmittelbar vor dem Ausbruch eines Bürgerkrieges.
Die neue irakische Verfassung stärkt die Provinzen und schwächt die Zentralregierung. Dadurch sind Konflikte vor allem zwischen Sunniten und Schiiten vorprogrammiert. Die nicht-arabischen Kurden im Norden des Irak, die letzten verbliebenen Verbündeten der USA im Land, werden ihre de facto-Eigenstaatlichkeit verteidigen und sich aus den inner-arabischen Machtkämpfen herauszuhalten versuchen.
Machtverhältnisse im Irak umgedreht
Bis zum Sturz Saddam Husseins war die schiitische Bevölkerungsmehrheit von der sunnitischen Minderheit regiert worden. Washingtons Versuch, eine von den USA protegierte Regierung in Bagdad einzusetzen, änderte das politische Gefüge grundlegend. Die von der Macht vertriebenen Sunniten schlossen sich teilweise dem islamistischen Widerstand und dem Terror an, während die Schiiten bei den Wahlen im Januar erwartungsgemäß zur stärksten politischen Kraft wurden.
Um den islamistischen Widerstand zu brechen, waren weit reichende Zugeständnisse an die Schiiten notwendig. Die Aufwertung der Schiiten führte zwangsläufig zu einer gesellschaftlichen Neuorientierung.
Statt der traditionellen sunnitisch-arabischen Ausrichtung dominiert nun der schiitische Halbmond, der bereits vom Iran bis zum Libanon reicht. In der Folge gewinnt Teheran immer mehr an Einfluss auf die Schiiten in Irak - weniger in theologischer als vielmehr in strategischer und machtpolitischer Hinsicht. Nicht umsonst unterstreicht die neue iranische Regierung unter Präsident Mahmud Ahmadi Nejad die neue freundschaftliche Achse Bagdad-Teheran.
Hinzu kommen enge persönliche und verwandtschaftliche Kontakte zwischen den Schiiten im Irak und im Iran. Die Neuordnung des Irak sollte aus US-Sicht ein demokratisches Vorzeigemodell für die gesamte Region sein. Ironischerweise wird dabei ausgerechnet der Erzfeind, die Islamische Republik Iran, nunmehr zum größten Nutznießer der US-Politik.
Irakischer Premier im Dunstkreis des Iran
Die neue Verfassung, die auf politische Mehrheiten setzt und den Minderheitenschutz vernachlässigt, begünstigt diese Entwicklung. Die traditionelle Ri valität und Feindschaft zwischen schiitischen Iranern und arabischen Sunniten bereitet aber nicht nur Washington Kopfzerbrechen.
Auch der saudische Außenminister Prinz Saud al-Faisal äußerte kürzlich die von vielen Arabern geteilte Sorge, Teheran werde sich mehr und mehr in die irakische Innenpolitik einmischen. Iraks schiitischer Premierminister Ibrahim Al-Jaafari gilt in arabischen Hauptstädten längst als Therans verlängerter Arm.
Die irakischen Schiiten drüften sich durch derartige Vorwürfe eher bestärkt fühlen, sich politisch noch mehr bei ihren iranischen Glaubensbrüdern anzulehnen. Mittelfristig besteht wohl die Gefahr, dass vor allem Saudi-Arabien und der Iran mit Hilfe ihrer jeweiligen Klientel und deren Milizen im Irak "Stellvertreterkriege" führen werden. Die sunnitische Minderheit im Irak wird deswegen schon jetzt neben Saudi-Arabien auch von Syrien und Jordanien umworben.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Washington und London bemüht sind, den iranischen Einfluss im Irak zurückzudrängen. Beide Regierungen werfen Teheran vor, Widerstand und Terror aktiv zu unterstützen. Auch die Gerüchte um angebliche Atombombenversuche des Iran dürften letztlich vor allem ein Versuch sein, das Regime der Mullahs international unter Druck zu setzen und aus dem Irak herauszuhalten.