Khamenei gerät auch intern immer mehr unter Druck. | Rafsanjani beruft Expertenrat ein. | Teheran/Wien. Die Lage im Iran bleibt auch am sechsten Tag nach der zehnten Präsidentschaftswahl, bei der Amtsinhaber Mahmoud Ahmadinejad sich laut vorläufigem, umstrittenen Ergebnis gegenüber seinem Herausforderer Hossein Moussavi durchsetzen konnte, äußerst angespannt. Nach wie vor nützen die Menschen die Straße, um für eine Wiederwahl zu protestieren.
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Am Donnerstag kamen landesweit hunderttausende Menschen zum "Tag der Trauer" für die am Beginn der Woche getöteten Demonstranten zusammen. Vor dem UNO-Gebäude hielten sie nach Angaben von Augenzeugen Transparente in die Höhe, auf denen stand: "UN - wo seid ihr?"
Die Unruhen entwickeln eine Eigendynamik, wie sie die islamische Republik seit den Anfängen der Revolution 1979 nicht mehr gesehen hat. Moussavi kündigte an, die Proteste fortzusetzen, bis die Wahl wiederholt wird. Für Samstag wurde eine Massenkundgebung mit Moussavi als Redner beantragt.
Mittlerweile signalisieren auch viele politische Größen des Landes zunehmend Unterstützung für die jungen Menschen auf der Straße. Der Riss durch die Führungsriege belegt, dass das gesamte Regime des Gottesstaates auf dem Prüfstand steht.
Einige konkrete Anzeichen dafür gibt es bereits: Zum einen hält Revolutionsführer Ali Khamenei das Freitagsgebet in dieser Woche selbst ab, was nur ein- bis zweimal jährlich bei wichtigen Anlässen der Fall ist. Außerdem stapeln sich seit Samstag in den Büros der obersten Institutionen der islamischen Republik die Protestbriefe gegen den Urnengang.
Schritt gegen Khamenei
Ferner hat die Nummer zwei des Staates, Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, in einer Blitzaktion den sogenannten Expertenrat zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen, was in der Geschichte des Gottesstaates einmalig ist. Das Gremium aus 86 Geistlichen ist für die Kontrolle des religiösen Führers Ali Khamenei zuständig. Es will prüfen, ob Khamenei das Krisenmanagement akkurat bewältigt.
Völlig neu ist auch, dass erlassene Demonstrationsverbote über mehrere Tage hinweg von solchen Menschenmassen ignoriert werden. Zur Schlüsselfigur der Opposition ist Moussavi als "Held aller Perser" emporgestiegen. Er ruft täglich zu neuen Kundgebungen auf und verlangte am Donnerstag die Freilassung aller bei den Demonstrationen der vergangenen Tage Inhaftierten. Gemeinsam mit dem früheren Präsidenten Khatami verurteilte er die Verhaftung von Demonstranten, unter denen sich zahlreiche Journalisten, Anwälte, Studenten und Dissidenten befinden. Mit dem früheren Außenminister Ebrahim Yazdi wurde nun ein weiteres Mitglied der Oppositionsbewegung festgenommen.
Auch von anderer, unerwarteter Seite haben die überwiegend jungen Demonstranten Unterstützung erhalten. Der Dissident aus der Heiligen Stadt Ghom, Großayatollah Ali Montazeri, hat Irans Jugend dazu aufgerufen, die Proteste fortzusetzen, um so ohne Gewalt ihre Rechte einzufordern. In dem an die iranische Nation gerichteten Text mahnt der Kleriker aber auch zu Geduld und Zurückhaltung. Montazeri, der zeitweise als Nachfolger von Ayatollah Khomeini galt, war wegen seiner liberalen Ansichten kurz vor Khomeinis Tod 1989 in Ungnade gefallen und wurde in den 90er-Jahren in Ghom unter Hausarrest gestellt.
Gegen die brutalen Säuberungen der Milizen erhoben aber auch andere den Zeigefinger: Der Rektor der Teheraner Universität, Farhad Rahbar, verurteilte den brutalen Angriff auf seine Studenten scharf. Ein Symbol der höheren Bildung im Lande sei gestürmt und seine lieben Studenten verprügelt worden.
Protest vom Uni-Rektor
Dies habe ihn mit tiefem Schmerz und Bitterkeit erfüllt, schrieb Rahbar an Khamenei und forderte eine behördliche Untersuchung der Vorfälle, um die Verantwortlichen bestrafen zu können: "Ich verurteile die Anwesenheit außenstehender, unbefugter Personen auf dem Universitätsgelände, die die Studenten angreifen und die Hoheitsrechte der Hochschule verletzen", so Rahbar in seinem Brief weiter.
Auch das Parlament hat sich anlässlich des brutalen Vorgehens der Polizei eingeschaltet. Parlamentspräsident Ali Larijani präsentierte am Donnerstag eine Kommission, die mit der Überprüfung der jüngsten "unglücklichen Vorfälle" an der Teheraner Universität untersucht wird. "Es scheint, dass im Verborgenen arbeitende Kräfte danach trachteten, ausländischen Medien Stoff für ihre Propaganda zu liefern. Wir werden der Sache genau nachgehen", sagte ein sichtlich genervter Larijani. Die von Larijani mit der Untersuchung beauftragten Abgeordneten forderten ebenfalls die Freilassung festgenommener Studenten und die Verhaftung der Gewalttäter.