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Immer mehr Jugendliche fordern offene Diskussion über Politik. | Sittenwächter beobachten Schulen. | Teheran. Es ist windig. Die alte Schulglocke läutet. Im Hof stehen einige Jugendliche und reden angeregt über Politik und die Demonstrationen nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom Juni. "Lasst euch nicht unterkriegen, Leute. Wir werden siegen, denn uns gehört die Zukunft des Iran", schreit Majid in die Menge. Schnell dämpft er seine Zigarette aus. Auf seinem gefälschten T-Shirt steht "Guci", mit nur einem "c" geschrieben.
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Richtig Lust auf Unterricht hat Majid allerdings nicht. Seit Tagen drängt der 15-Jährige seinen Direktor, doch eine Diskussion über die Wahl zuzulassen. Deshalb hat er sich auch schon eine Verwarnung eingefangen. Doch nicht nur die Lehrer werfen ein Auge auf Schüler wie Majid. Im gesamten Gebäude sind auch heute wieder zivile Sittenwächter präsent. "Überall steht dieses Ungeziefer, wie ein Polizeistaat", empört sich der 16-jährige Behnam. "Sollen sie schauen, bis ihnen die Augen ausfallen", fügt er aufgebracht hinzu.
Behnam und Majid sind gut befreundet und - wie sie sagen - aus einem harten Holz geschnitzt. Sie waren auch letzte Woche mit dabei, als zehntausende junge Menschen am dreißigsten Jahrestag der Besetzung der amerikanischen Botschaft statt gegen die USA gegen Präsident Mahmoud Ahmadinejad demonstrierten.
Langsam treten die Schüler heute in die Klasse ein. Im Stadteil "Baharestan" im Süden der iranischen Hauptstadt sind die Schulen sehr einfach gebaut. "Das einfache Volk", wie man hier sagt, begnügt sich mit dem Allernötigsten. Eine Tafel, der Koran und alte Sessel und Tische, das ist die Ausstattung der Mittelschule. Der Unterricht ist streng reguliert. Die meisten Fächer sind in islamische Themen eingebettet.
Junge in der Überzahl
An diesem Tag stehen drei Stunden Koranrezitation und eine Übersetzung aus dem Arabischen auf dem Programm. Herr Javadi, ein 60-jähriger kleiner Mann mit einem weißen Bart, betritt Majids Klassenzimmer. "Ich weiß, dass ihr mit vielem nicht zufrieden seid, und ich weiß, dass vieles nicht euren Wünschen entspricht, was derzeit in unserem Land passiert, aber bitte tragt es nicht hier aus. Ich bin ein alter Mann und möchte keine Schwierigkeiten", sagt Javadi. "In meinem Geiste bin ich aber bei euch. Ihr seid die Sonne und die Zukunft des Landes, und ohne Sonne wird es keinen Tag geben im Iran", erklärt er mit sanfter Stimme. Stille ist eingekehrt. Javadi nutzt den Moment der Ruhe und öffnet die Tür. Mit einem kurzen Blick vergewissert er sich, dass keine Sicherheitsorgane der Bassij-Milizen vor der Tür gelauscht haben.
Der alte Koranlehrer hat ausgesprochen, was sich in Irans Schulen in diesen Tagen immer häufiger abspielt: Neben den Universitäten, an denen fast täglich Demos organisiert werden, werden nun auch die Schulen zu Hotspots, wo der Protest gegen die herrschenden Verhältnisse immer lauter wird: Am Mittwoch hatten sich in vielen Schulen die Schüler geweigert, am Unterricht teilzunehmen. Zugleich forderten sie mit Parolen die Schuldirektoren, Diskussionsrunden zuzulassen. Der zivile Ungehorsam wird auch von einer breiten Masse innerhalb der überwiegend jungen Bevölkerung unterstützt. Und eine zu vernachlässigende Gruppe sind die Jungen auf keinen Fall: Mehr als 57 der rund 72 Millionen Perser sind weniger als 27 Jahre alt.
So gehört es inzwischen schon fast zur Tagesordnung, dass mitten auf Teherans Stadtautobahn Autofahrer anhalten, um den Demonstranten, meist Schüler und Studenten, zu ermöglichen, ihre Parolen auf den Asphalt zu schreiben. Beim Anrücken der Polizei werden die Demonstranten per Hupzeichen verständigt.
Seit Beginn der "Grünen Welle" (grün ist die Farbe von Irans Oppositionsführer Mir Hossein Moussavi) kann sich auch kaum noch ein Regierungsmitglied in einer Schule oder einer Universität zeigen, ohne ausgepfiffen und mit Parolen konfrontiert zu werden.
Auch Majid setzt auf Parolen. Während der Koranvers in seiner Klasse rezitiert wird, steht der 15-Jähriger plötzlich auf und meint: "Wir werden so lange kämpfen, bis die Regierung weg ist. Wir sind zu viele, als dass sie uns ignorieren könnten."