Auch neue US-Sanktionen treffen Perser hart - Suche nach Auswegen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Paris/Teheran/Wien.
In Teheran schrillen die wirtschaftlichen Alarmglocken. Schön langsam, aber sicher macht sich der westliche Sanktionsdruck als Folge der Unnachgiebigkeit der iranischen Führung im Atomstreit rund um die umstrittene Urananreicherung deutlich bemerkbar. Die Grundnahrungsmittel wie Brot, Reis und Fleisch haben sich in den vergangenen drei Monaten drastisch verteuert und auch die Lebenserhaltungskosten (Stichwort: Miet- und Energiekosten) sind explodiert.
Besonderes Kopfzerbrechen macht sowohl dem iranischen Wirtschaftsministerium als auch dem Ölministerium der Stichtag 1. Juli. Ab dann spüren die Perser sowohl neue US-Sanktionen als auch das Ölembargo der EU. Angedroht wurde schon lange, sämtliche Öleinfuhren aus dem Iran ab der zweiten Jahreshälfte zu unterbinden, doch glaubte die Führung bis zuletzt, dass die EU "vernünftig" werden und doch noch von diesem drastischen Schritt absehen würde. Drastisch deshalb, weil die Ölausfuhren in den EU-Raum rund 18 Prozent der gesamten Ölexporte des Iran ausmachen und somit keine Peanuts sind.
Trifft das westliche Ölembargo also die Achillesferse der iranischen Wirtschaft? Ja, sagt die Internationale Energieagentur. Seit Anfang des Jahres haben die Perser demnach 40 Prozent weniger Öl exportiert.
Von einem derartigen Schlag ins Gesicht der iranischen Wirtschaft will man in Teheran aber nichts wissen. Spricht man iranische Regierungsvertreter auf diese Entwicklung an und gibt zu bedenken, dass aus der aus den Sanktionen resultierenden explodierenden Arbeitslosigkeit und Teuerungswelle eine soziale Revolte von innen hervortreten könnte, bekommt man immer zwei Standardsätze vorgesetzt: Zum einen ist es der Hinweis auf den schon einige Monate zurückliegenden Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF), der die von der iranischen Regierung verabschiedeten Wirtschaftsreformen - und die darauf beruhenden optimistischen Wachstumsprognosen - positiv bewerte. Der IWF lobte insbesondere Irans viel umsorgte Subventionsreform, die mehr als 100 Milliarden Dollar einsparte; der Großteil davon waren Energiesubventionen. "Die Subventionsreform wird voraussichtlich die Effizienz und Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft erhöhen, die Einkommensverteilung verbessern, Armut verringern und dem Iran helfen, sein volles Potenzial auszuschöpfen", hieß es im IWF-Bericht.
Alternative Exporte sollen Ölembargos kompensieren
Zum anderen wird darauf verwiesen, dass der Iran schon längst Mittel und Wege gefunden habe, die Abhängigkeit von seinen Ölexporten zu reduzieren. Auch in Gesprächen mit der "Wiener Zeitung" haben iranische Politiker schon mehrfach darauf hingewiesen, dass der Wert der iranischen Exporte, die nicht Öl betreffen, von 6,4 Milliarden Dollar im Jahr 2004 auf 26,3 Milliarden Dollar im Jahr 2010 geklettert sei, was einer Vervierfachung entspricht.
Nachsatz: Obwohl die Ölexporte vor dem Hintergrund der hohen Ölpreise der vergangenen Jahre immer noch einen großen Teil der Auslandsdevisen ausmachen, ist der Anteil von Nicht-Ölprodukten unter den iranischen Exporten seit dem Jahr 2000 konstant gestiegen und deckt heute rund 30 Prozent der Gesamtexporte ab.
Abgesehen von der Beruhigungstaktik nach außen weiß die iranische Führung aber genau, dass der Hut brennt. Denn der Iran wird noch Jahrzehnte brauchen, um seine Abhängigkeit von den Ölexporten entsprechend zu minimieren und die notwendigen Parameter für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu schaffen. Der sich in einer akuten Sackgasse befindliche Atomstreit mit dem Westen löst deshalb innerhalb der Bevölkerung gemischte Gefühle aus. Und so wird der oberste religiöse Führer, Ali Khamenei, nicht müde zu betonen, dass die westliche Sanktionsmaschinerie gegen sein Land "ein Glück im Unglück" sei: weil man nämlich dadurch dazu angetrieben wurde, selbst Auswege zu suchen, um die Strafmaßnahmen zu kompensieren.
Ein "EU-Ersatzprogramm" wurde ins Leben gerufen, um die wirtschaftlichen Beziehungen zu vorwiegend asiatischen und lateinamerikanischen Ländern zu intensivieren, um die europäischen Ausfälle auszugleichen. Bestes Beispiel sind die jüngsten Reisen hochrangiger iranischer Delegationen nach Moskau, Peking und in mehrere südamerikanische Staaten, wo mehrere neue Millionenverträge abgeschlossen wurden, um ein deutliches Signal in Richtung Europa zu setzen. Ein Mitarbeiter des iranischen Ölministeriums hat die Intention dieser Aktion sehr treffend beschrieben: "Wenn ihr uns nicht wollt, finden wir eben andere Wirtschaftspartner. Dann verkaufen wir unser Öl eben nach Asien und in andere Länder. Wir sind von Europa nicht abhängig und trotzen euren Sanktionen."
Grundsätzlich ist es richtig, dass die Perser Meister der Improvisation sind, wenn es um das Umgehen der westlichen Sanktionen geht. Jahrelang fungierte das Emirat Dubai als Schlupfloch für Geschäfte mit Drittstaaten zur Kompensation der Sanktionen gegen Teheran. Haushaltsgeräte der Marke "Whirlpool" kamen über diesen Weg beispielsweise ebenso in den Iran wie westliche Autos und Güter aller Art.
Türkei lässt sich Handel mit dem Iran nicht verbieten
Nach der Wirtschaftskrise, die auch die Vereinigten Arabischen Emiraten, zu denen Dubai gehört, nicht verschonte, mussten die lukrativen Geschäfte mit dem Iran auf US-Druck gedrosselt werden. Seit rund eineinhalb Jahren hat daher die Türkei die Rolle des Umschlagplatzes für Güter aller Art in den Iran übernommen. Der Unmut der USA über derartige enge Verbindungen zwischen Ankara und Teheran scheint den Politikern in der Türkei herzlich egal zu sein. Mit dem Hinweis darauf, dass sich "die Türkei nicht sagen lässt, mit wem sie Geschäfte zu machen hat und mit wem nicht", wird US-Kritik im Keim erstickt.
So muss die Regierung Washington anders reagieren und versucht den Iran mit einer sehr hemmungslosen Sanktionspolitik im Atomstreit in die Knie zu zwingen. Ein neuerliches Paket von Sanktionen gegen die Machenschaften der im Iran wirtschaftlich omnipräsenten Revolutionsgarden ist bereits beschlossen und wird nun ebenfalls die Geschäfte der Mullahs weiter beeinträchtigen.
Die beiden UNO-Vetomächte Russland und China kritisieren diese einseitige Politik der USA als "absolut kontraproduktiv für eine Lösung im Atomstreit" und fordern ein Ende der Strafmaßnahmen gegen Teheran. Doch auch Armenien nascht am Kuchen mit und umgeht über Umwege die Sanktionen, vor allem im Energiesektor. Experten vermuten die Abhängigkeit vom iranischen Öl als Ursache für die Rückendeckung, die das Regime in Teheran bekommt.
Irans Führung lenkt von inneren Problemen ab
All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die iranische Führung ein massives Problem mit den hohen Umstellungskosten hat, welche die iranische Wirtschaft als Folge der ausgeweiteten westlichen Sanktionen tragen muss. Dass Ayatollah Khamenei ein "Jahr des wirtschaftlichen Jihads" ausgerufen und wirtschaftliche Disziplin und effizienteres Wirtschaften gefordert hat, zeigt auch, dass er mit der Politik zur Kompensation der westlichen Sanktionen ganz und gar nicht zufrieden ist.
Büßen muss dafür Präsident Mahmoud Ahmadinejad, der in den verbleibenden zwölf Monaten seiner Amtszeit keinen Rückhalt mehr aus der obersten Führungsriege bekommt. Die Mehrheit des iranischen Parlaments ist gegen seinen Wirtschaftskurs, Khamenei hat sich von ihm abgewendet, und auch der zweitmächtigste Mann des Iran, Ex-Präsident Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, hält die Wirtschaftspolitik der amtierenden Regierung für "kläglich gescheitert" und fordert als Konsequenz daraus "sofortige effektive Strukturmaßnahmen zur Ankurbelung des Wirtschaftsstandortes Iran".
Wann immer Machthaber im Inneren des Landes Probleme haben, bedienen sie sich der Außenpolitik, um Stärke zu zeigen. Das schweißt zusammen und ist auch im Fall des Iran nicht anders. Präsident Ahmadinejad demonstrierte trotz seiner innenpolitischen Schwäche bei seinem jüngsten Besuch in Lateinamerika, dass der Iran in diesen Krisenzeiten eine ernstzunehmende Regionalmacht ist und mit Asien und Lateinamerika auch sehr viele strategische Partner vorweisen kann.
Nicht von ungefähr kommt es auch, dass der Iran gerade jetzt um eine Annäherung an Ägypten bemüht ist, wo die Islamisten an die Macht gekommen sind, und auch im Zusammenhang mit der Syrien-Frage "Krisenfeuerwehr" spielen will. Die Welt soll wissen, dass im Nahen und Mittleren Osten "nichts ohne den Iran" geht.
Wirtschaftlich werden sich die sanktionsgebeutelten Perser allerdings dennoch einiges einfallen lassen müssen, um ihren Staatshaushalt nicht ins Wanken zu bringen.