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Nordkorea begeht am Wochenende den 70. Geburtstag der Arbeiterpartei mit einer bombastischen Parade. Der Politologe Reynolds Myers über die Gefährlichkeit des Landes.
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Nordkorea ist einer der ärmsten und am stärksten isolierten Staaten der Welt. Geht es aber darum, militärische Stärke zu zeigen, ist Pjöngjang kaum zu übertreffen. Am Samstag will die Regierung ihre bisherigen Muskelspiele selbst in den Schatten stellen. Zum 70. Geburtstag der Gründung der Arbeiterpartei, der Machtbasis der Kim-Dynastie, ist in der Hauptstadt eine Riesen-Parade geplant. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Nordkorea-Experten Bryan Reynold Myers über das Land.
"Wiener Zeitung": Im Kern Ihres 2009 erschienenen Buchs "The Cleanest Race" stand eine geradezu ungeheuerliche These: Nordkorea sei keinesfalls ein gescheiterter kommunistischer Staat, sondern ganz im Gegenteil ein erfolgreicher nationalsozialistischer.Bryan Reynolds Myers: Tatsächlich stand das Land in seinen ersten Jahren auf einem Scheideweg zwischen extrem rechts und extrem links: Die Enteignung von Privatbesitz, das Bündnis mit Moskau, gepaart mir gleichzeitig starkem Rassenbewusstsein. Das hat im Grunde auch der linke Flügel der NSDAP gefordert, zu dem etwa Goebbels gehörte. Nordkorea ist dem Dritten Reich und dem Japan der 1930er Jahre näher als der Sowjetunion.
Mit dieser Behauptung haben Sie eine der größten Kontroversen unter den Nordkorea-Forschern ausgelöst. Wie haben Sie die Kritik aufgenommen?
Das Problem mit der Nordkoreanistik ist, dass kein Unterschied gemacht wird zwischen Nordkorea-Kennern, die regelmäßig ins Land fliegen und dort Geschäfte machen, und den eigentlichen Nordkoreanisten, die wirklich die Quellen studieren. Inzwischen haben die Nordkorea-Kenner viel mehr Einfluss: Sie sitzen in Gremien und Redaktionen, organisieren Konferenzen und entscheiden auch über wissenschaftliche Publikationen. Deren Kritik nehme ich jedoch insofern nicht ernst, da niemand von ihnen wirklich versucht, von den Quellen her zu argumentieren, wie ich das mache.
Das Studieren von nordkoreanischen Quellen birgt jedoch ein eklatantes Dilemma: die Glaubhaftigkeit. Wie lässt sich das lösen?
Tatsächlich gibt es in Nordkorea mehrere Propagandalinien. Was Ausländern bei Verhandlungen gesagt wird oder Touristen im Land, nenne ich die Exportlinie. Dann gibt es die Vorzeige-Propaganda, die zwar vornehmlich für die Einheimischen gedacht ist, aber stets mit dem Bewusstsein, dass Ausländer das auch lesen - etwa die Staatszeitung "Rodong Sinmun". Erst in der inneren Propaganda wird ganz klar und offen gesagt wird, was das wirkliche Ziel des Staates ist. Wer das nicht versteht, hat nichts aus den Lektionen des Zweiten Weltkriegs gelernt: Auch der Propaganda-Apparat der Nazis hat die Massen an der Heimatfront mit Antisemitismus angeheizt, während Hitler Europa in seinen Friedensreden beschwichtigt hat.
Und diese Propagandalinien stehen sich diametral entgegen?
Mittlerweile immer weniger. Als es noch die Sowjetunion gab, konnten die Nordkoreaner ihre tatsächliche Weltanschauung nicht an die große Glocke hängen, weil sie abhängig von deren Hilfslieferungen waren. Nach außen haben sie der UdSSR für die Befreiung Nordkoreas gedankt - und gleichzeitig ihrer eigenen Bevölkerung gepredigt, dass es Staatsgründer Kim Il-sung alleine war, der den Koreakrieg ohne fremde Hilfe gefochten hat. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatenblocks haben die Nordkoreaner angefangen, immer offener ihr rassistisches Gedankengut auszudrücken: So haben sie die in Südkorea erlaubten internationalen Ehen kritisiert, die das koreanische Blut beflecken würden. Und in öffentlichen Reden bezeichnet Kim Jong-un den amerikanischen Präsidenten als ekelhaften Affen. Was machen die also, was auch nur im geringsten Maße kommunistisch sein könnte? Das Wort wird nicht mal in der Verfassung erwähnt.
Welches Interesse hat denn das Ausland, an dieser Weltanschauung festzuhalten?
Nun ja: Der amerikanische Steuerzahler billigt die Militärpräsenz der eigenen Truppen in Südkorea nur, weil sie denken, dass hier der Kapitalismus und die Freiheit des Westens vor dem Kommunismus geschützt werden. Wenn die aber erkennen würden, dass wir hier einen nationalistischen Staat vor einem extrem nationalistischen Staat beschützen - und das ist im Grunde, was wir hier tun -, dann sähe die Bereitschaft ganz anders aus. Für den riesigen militärisch-industriellen Komplex in den USA wäre das natürlich ein Problem. Auch China hat ein geopolitisches Interesse daran, Nordkorea weiterhin zu unterstützen. Die chinesischen Massen gehen da aber nur mit, weil sie denken, es handelt sich um einen alten, kommunistischen Kriegsverbündeten. Alles wird viel, viel komplizierter, wenn man anerkennt, was für ein Staat Nordkorea wirklich ist.
Denkt man diesen Gedanken zu Ende, heißt das auch: Verhandlungen mit Nordkorea bringen genau so wenig, wie sie es damals mit Hitler gebracht haben. Wäre das nicht eine Rechtfertigung für einen Krieg auf der koreanischen Halbinsel?
Man könnte viele Dummheiten mit meinen Erkenntnissen rechtfertigen, und genau das ist wiederum ein Grund, warum ich mich ein bisschen davor ziere, meine Gedanken allzu publik zu machen. Andererseits ist es viel gefährlicher, wenn wir einfach dasitzen und immer aufs Neue von Nordkoreas Provokationen überrascht werden. Wir müssen begreifen, dass sich das Land in einer Zwickmühle befindet. Es kann nicht aus seinem selbstgestrickten ideologischen Gefängnis heraus.
Nordkorea ist also davon abhängig, regelmäßig die internationale Gemeinschaft vor den Kopf zu stoßen?
Das Geniale an dem System ist ja: Nordkorea muss nicht andere Länder überfallen, wie Hitler oder Mussolini das machen mussten. Es reicht, wenn Kim Jong-un dem Volk regelmäßig kleinere Siege präsentiert, etwa die berüchtigten Raketentests. Für das Regime ist es essenziell, dem Volk zu zeigen: Wir werden respektiert, gefürchtet und kommen jedes Jahr unserem Ziel der Wiedervereinigung ein bisschen näher. Ich will damit nicht sagen, dass Kim Jong-un Südkorea erobern muss, um an der Macht zu bleiben, aber er muss Fortschritte zeigen. Das hat bisher auch ziemlich gut geklappt - nur hat sich irgendwann ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt, weswegen die Lage immer gefährlicher wird. Das ist wie beim Tauziehen: Irgendwann reißt das Seil. Doch Krieg, das wollen die Nordkoreaner auch nicht.
Würde sich die Lage entspannen, wenn sich die US-Truppen aus Südkorea zurückziehen würden?
Das wäre absolut gefährlich. Innenpolitisch haben die Kims seit 70 Jahren ihrem Volk gepredigt: Die Südkoreaner wollen unter unserer Herrschaft leben, dürfen das aber nicht, weil die Amerikaner das niemals zulassen würden. Wenn die Amerikaner sich nun also zurückziehen würden, stünde das Regime richtig dumm da. Dann muss es seinem Volk nämlich erklären, warum die Südkoreaner nicht unter Kim Jong-un leben wollen. Man muss den Nordkoreanern vielmehr dabei helfen, einen innenpolitischen Ausweg zu finden, bei dem sie keinen allzu großen Gesichtsverlust erleiden würden. Nur habe ich auch keine Ahnung, wie das passieren soll.
Kim Jong-un hat die Wirtschaft in kleinen Schritten geöffnet. Bedeutet das nicht, dass er seinen Machtanspruch in Gefahr sieht, sollte er dem Volk keinen Wohlstand bringen?
Nein, denn Kim Jong-un hat mit seiner Militär-zuerst-Politik die Wirtschaft entideologisiert. Nordkorea ist korrupt bis zum Gehtnichtmehr, doch das war auch das Dritte Reich - und dennoch haben sich die meisten Schwarzmarkthändler für gute Deutsche gehalten. In der DDR oder der Sowjetunion hingegen war die Wirtschaft der Kern der ganze Sache. Dort hatten wirtschaftliche Reformen den Effekt, das politische System zu untergraben - und führten direkt zu einem Tauwetter. Nordkorea hingegen ist gefährlich wie eh und je: Für die Nordkoreaner ist es sinnlos, sich bei Kim Jong-un für Essen oder Kleidung zu bedanken, denn sie wissen genau, dass sie sich das mittlerweile selber verdient haben. Also fordern sie, dass er seinen Job als Militärführer macht. Doch wie kann er das tun, ohne zu weit zu gehen?
Dabei gelangen zunehmend ausländische Informationen ins Land. Viele Nordkoreaner wissen, dass es ihren Nachbarn wirtschaftlich viel besser geht. Wieso führt das nicht zu mehr Widerstand?
Ein rechtsextremer Staat kann seinen Bürgern tatsächlich viel mehr Freiheit gewähren als ein kommunistischer - denn der Nationalismus ist halt stärker. Wer möchte nicht hören: Ihr seid eine besondere, moralisch überlegene Rasse. Insofern sind die Nordkoreaner gar nicht so empfänglich für ausländische Informationen, von denen es ja ohnehin bereits viele ins Land schaffen. Und dass die südkoreanische Wirtschaft besser dasteht, wird vom Propaganda-Apparat einfach gedreht: Es geht den Südkoreanern nur deshalb gut, weil es unsere Militär-zuerst-Politik den Amerikanern unmöglich macht, einen weiteren Krieg auf der Halbinsel anzufangen. Deshalb ist der Süden uns dankbar und gibt wirtschaftliche Hilfe. Auch wenn das bei näherer Betrachtung Schwachsinn ist: Die Nordkoreaner wollen das glauben - auch um nicht erkennen zu müssen, dass sie ihr Leben umsonst gelebt haben. Nur eine Familie bereichert sich.
Brian Reynolds Myers (52) unterrichtet an der Dongseo Universität in Busan, Südkorea. Der Amerikaner forscht vor allem über nordkoreanische Propaganda, die er auch in seinem jüngst erschienen Buch "North Korea’s Juche Myth" behandelt. Seine Dissertation schrieb Myers an der Uni Tübingen.