Mit Cello-Spiel, "Schüssel-Anhängern" und der Warnung vor Rot-Grün wirbt ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel im ganzen Land um WählerInnenstimmen. Die Mitglieder seines Regierungsteams weiß er dabei immer an seiner Seite. Die "Wiener Zeitung" begleitete Schüssel auf einer Wahlkampftour im Rahmen der "Österreichtage".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Das große Plakat vor der Wiener Staatsoper kündigt es an: Cello spielend wirbt Wolfgang Schüssel für sein da capo als Bundeskanzler. Doch dafür sind Stimmen notwendig, betont die ÖVP auf Schritt und Tritt. "Stimmen, für die wir laufen müssen."
Schüssels Kanzlerteam will dies wörtlich nehmen. Wenn auch nicht zu Fuß sondern in dementsprechend beschrifteten Kleinbussen werden die Kilometer zurückgelegt, um bei den "Österreichtagen" wahlzuwerben. Die Betonung liegt auf "Werben"; "Wahlkämpfen" hören die FunktionärInnen nicht so gern.
Das Szenario ist in jedem Bundesland gleich. Zunächst die Pressekonferenz: Schüssel kommt, begleitet von Minister-Innen und LandespolitikerInnen. Den "Einzug der Gladiatoren" nennt es dann Klubobmann Andreas Khol. Danach schwärmen die Regierungsmitglieder aus: Innenminister Ernst Strasser besucht Gendarmerieposten, Bildungsministerin Elisabeth Gehrer ist in Schulen zu Gast, dazwischen sind Rundgänge, Vorträge, Verteilaktionen eingeplant. Am Abend finden sich wieder alle zu einer gemeinsamen Schlussveranstaltung ein.
Heute ist Niederösterreichtag. "Hier ist das Kernland, hier sind die Wurzeln des Österreichertums", meint Schüssel in St. Pölten. Es sei ein besonderer Menschenschlag, der hier wachse. Kurze Zeit später wird er mit den Menschen hier in Kontakt treten, bei einem Betriebs-Rundgang an die Arbeiter "Schüssel-Anhänger" verteilen und in der Innenstadt aufgebrachte PensionistInnen auf bereits begonnene Reformen hinweisen.
Die Maschinenfabrik Voith gehört neben dem Krankenhaus zu den größten - privaten - Arbeitgebern in St. Pölten und Umgebung. 905 Personen sind hier beschäftigt, berichtet Geschäftsführer Bernd Vogl. Er macht der Regierung ein "Kompliment" für die Abfertigung Neu, nützt die Gelegenheit, für eine Entlastung von Lohnnebenkosten zu plädieren. Schüssel hört zu, erkundigt sich nach früheren Verstaatlichungsversuchen der 1903 gegründeten Tochter des deutschen Konzerns.
"Meistens kommen Politiker nur vor Wahlen zu uns"
Die Details kann der ÖVP-Obmann beim anschließenden Rundgang erfragen. Einem Angestellten fällt auf: "Der Betriebsrat hat sich wohl verdünnisiert. Es ist ja doch die andere Fraktion." St. Pölten ist so etwas wie eine "rote Hochburg" im schwarzen Niederösterreich. Seit Jahrzehnten kann die SPÖ in der nunmehrigen Landeshauptstadt die absolute Mehrheit halten. Voith, Glanzstoff, Eisenbahnreparaturwerkstätte und Krankenhaus beschäftigen zahlreiche ArbeiterInnen. Auf der Informationstafel bei Voith hängen Broschüren der SPÖ. "Schwarz-blau hat kein Programm für die Zukunft", heißt es dort.
Die ÖVP-FunktionärInnen zeigen sich von den Parolen ungerührt. Schüssel schüttelt Hände, erkundigt sich nach Produktionsschritten und Familienplänen. Begeisterung löst aus, dass ein Mann gerade an einer Schüssel arbeitet. "Manchmal gibt es auch im Wahlkampf lustige Zufälle", stellt Landeshauptmann Erwin Pröll fest.
Dieser kommt übrigens einmal im Jahr her, berichtet ein Arbeiter. "Aber so oft haben wir nicht Besuch. Manchmal kommt ein Minister von einem fremden Land." Ein anderer bestätigt: "Politiker kommen nicht so oft her." Und fügt etwas leister hinzu: "Meistens nur vor Wahlen."
Etwas verschüchtert wirkt der junge Mann in der Montage. Der Bundeskanzler fragt ihn nach seinen Zukunftsplänen. Ob er politisch zufrieden ist? Der Arbeiter nickt. Sein Kollege ist schnell geflüchtet, als er den Tross von PolitikerInnen, JournalistInnen und Mitgliedern der Geschäftsleitung herankommen sah.
Drei Stunden später wird auf Schüssel bereits gewartet. Die ÖVP hat in der Innenstadt einen Stand aufgebaut, verteilt Luftballons und bietet Würstel an. Eine Funktionärin versucht einen skeptischen St. Pöltener zu überzeugen: "Bleiben's da, gleich kommt der Bundeskanzler." "Na so begeistert bin ich von dem nicht", entgegnet der Mann. Er nimmt Schüssel die Koalition mit der FPÖ übel, hätte nun lieber eine rot-grüne Regierung. "Aber schauen Sie doch nach Deutschland, was die dort angerichtet haben", beharrt die VP-Anhängerin.
Einer jungen Frau gefällt der Wahlkampfrummel in der engen Straße gar nicht. Sie versucht, den Kinderwagen durch die Menschenansammlung zu schieben. "Die paralysieren doch alles", sagt sie zu ihrer Begleiterin.
"Ich will hoffen, dass die Schülerbeihilfe steigt"
Eine Gruppe von Pensionistinnen ist hier, "um sich zu informieren". "Wir schauen uns jeden an", erklärt eine. "Nächste Woche kommt jemand von den Grünen, und die FPÖ hat vorige Woche Dosen verteilt", zählt sie auf. Sie weiß noch nicht, wen sie wählen wird: "Irgendwie hat jeder seine Qualitäten."
Schüssels Ankunft verzögert sich. Ein Lokalpolitiker nach dem anderen wird auf die Rednerbühne gebeten. Vor dem Würstelstand erkundigt sich ein Mann, wie lange es wohl noch dauern werde. Langsam werde ihm nämlich kalt. Er sei eigentlich zufällig hier, aber als er erfahren hat, dass der Bundeskanzler kommt, hat er entschieden, auf ihn zu warten. "So oft sieht man ihn ja nicht."
Ein paar HTL-Schüler vergleichen die Ausbeute des Nachmittags: Luftballons, isotonische Getränke, Kugelschreiber. Letztere werden sie dem Bundeskanzler hinhalten, um ein Autogramm zu ergattern. Und einer der Jugendlichen wird beim Weggehen leise hinzufügen: "Ich will hoffen, dass die Schülerbeihilfe steigt."
Mit Applaus wird Schüssel empfangen. Nach einer kurzen Rede, in der er vor einer rot-grünen Regierungsvariante warnt und für die Fortsetzung des ÖVP-Reformkurses plädiert, steigt er vom Podium und in die Menschenmenge. Eine Pensionistin lässt ihm kaum Zeit zum Luftholen. "Warum wird nichts für die Pensionisten getan? Die Politiker räumen doch nur die Pensionskassen leer", klagt sie. Schüssel versucht zu erklären, seine Wahlkampfhelfer versuchen ihn zum Weitergehen zu bewegen. Ein 20jähriger ist auf Arbeitssuche. Er habe keine Ausbildung und vor sechs Monaten das Bundesheer hinter sich gebracht. Schüssel verweist auf das Ausbildungsprogramm für 19- bis 24jährige, lässt einen Mitarbeiter das Anliegen notieren. "Kommen Sie nächste Woche in mein Büro, dann reden wir in Ruhe darüber", sagt dieser zu dem jungen Mann.
Dazwischen nimmt der Parteiobmann jede Menge Glückwünsche für die kommende Wahl entgegen. "Der ist eh net z'wider", meint ein Mann. Ein anderer fügt hinzu: "Für mich gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit zu wählen: die ÖVP."
Der Abend ist der nach innen gerichteten Motivation gewidmet. Über 2.000 FunktionärInnen und SympathisantInnen haben sich auf Schloss Grafenegg eingefunden. "Eines muss man schon sagen: Die Stimmung war noch nie so gut", meint der Bürgermeister einer kleinen niederösterreichischen Gemeinde. "Jetzt rennt auch der Parteiobmann und haut sich für uns rein. Das war nicht immer so", erzählt er von seinen Erfahrungen auf Bezirksebene.
Die Reden werden auf Bildschirmen auch im Vorraum übertragen. Applaus erhält der niederösterreichische Spitzenkandidat Ernst Strasser, Beifall bekommt Pröll für seine Aussage: "Es kann nicht sein, dass unsere Kinder Drogen in der Trafik holen können." Die Warnung vor Rot-Grün schwebt auch hier über den Köpfen. Schüssel ermahnt: "Wir können uns nicht bequem in den Autobus setzen und Richtung 24. November rollen." Und dann sagt er es selbst: "Wir müssen bis zum letzten Tag um jede Stimme kämpfen."
Knapp zwei Wochen davor hat er beim Wahlkampfauftakt in Linz dieses Motto ausgerufen. Dass er dabei auch Elefanten in die Wahlschlacht geworfen hat, stellte sich als voreilige Annahme heraus. Die Tiere, die der Zirkusdirektor vor dem ÖVP-Zelt postiert hatte, waren nicht auf Stimmenfang für die Volkspartei unterwegs. Angesprochen darauf, stellte der Direktor klar: "Wir werben für uns selbst."