In Sachen Medienbranche diskutieren wir ständig über Jung und Alt. Das sind nicht die richtigen Kategorien.
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Sie werden sich denken, bitte nicht schon wieder so ein Artikel. Das wurde doch alles schon tausend Mal durchgekaut; Zoomer, Boomer, Overheadprojektor-Witz, "niemand will mehr arbeiten!"
Tja, da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Denn, Achtung Phrase, die Medien stecken in der Krise. Zumindest, wenn man sich zurzeit in der Branche, außerhalb der Branche, bei den Eltern, den Kindern oder den Haustieren umhört; da bekommt man das Gefühl, niemand will uns mehr lesen, hören, sehen; geschweige denn für irgendwas davon bezahlen. Das Vertrauen in die Medien sinkt. Je nachdem, wen man fragt, verdienen im Journalismus alle zu wenig oder viel zu viel. Ständig sucht man nach "neuen Leuten" und findet keine, weil es offenbar zu viele gibt. Schuld daran sind irgendwie alle; die Jungen, die Alten und ganz besonders das Internet. Ein Plädoyer, sich nicht ständig in Generationenfragen zu verlieren, die schon lange keine mehr sind.
"Dieses Internet!!1!"
Angefangen hat alles mit den Jungen - mit den Jungen und ihrem Internet. Sie informieren sich heute vor allem online über tagesaktuelle Themen, vier Fünftel der elf- bis 17-Jährigen nutzen dabei laut einer Studie des "Österreichischen Instituts für angewandte Telekommunikation" täglich Soziale Netzwerke. Gleichzeitig sinkt ihr Vertrauen in traditionelle Nachrichtenkanäle wie Radio, Fernsehen oder Print-Zeitungen. Die Reichweite der österreichischen Tageszeitungen lag 2021 insgesamt bei 55,4 Prozent, im Vergleich zum Vorjahr ist sie dabei um fast drei Prozentpunkte gesunken. Von diesem Phänomen hören wir ständig; es wird einem schließlich bei nahezu jeder Digitalisierungsstrategie noch einmal von vorne erklärt: Instagram, TikTok, das ist der neue "heiße Scheiß". Besonders angetan sind davon meistens mittelalte Management-Vertreter; die wissen erfahrungsgemäß am besten Bescheid, was die Jugend gerade bewegt - und dass man für Online-Inhalte kein teures Papier mehr kaufen muss. Also Digitalisierung, los geht’s.
"Diese Jungen!!1!"
Nun sind diese Entwicklungen ein Faktum, nicht erst seit 2023. Das Internet wird so schnell nicht wieder weggehen, dementsprechend ist die Auseinandersetzung mit ihm auch in den österreichischen Medienhäusern obligatorisch. Und wahrscheinlich passiert sie in den meisten Fällen sogar zu spät. Darum soll es hier aber nicht gehen. Sondern um die Debatte, in der wir angefangen haben, "die Jungen" und "die Alten" als sich gegenüberstehende, homogene Gruppen zu begreifen. Es wird schließlich auch alles so herrlich einfach, wenn man jede andere Kategorie außer Acht lassen kann. Soziale Herkunft, Geschlecht, Bildungsgrad, Wohnort, das lässt sich mit dem Alter offenbar einfach wegradieren.
Dementsprechend haben wir uns in der konstruierten Vorstellung verrannt, in der es so wirkt, als würden die Bedürfnisse der einen ein garantiertes Hemmnis für die der anderen darstellen. "Die Jungen", die keine Zeitung mehr lesen wollen und "Die Alten", die nichts anderes tun. So, was jetzt? Vorneweg, ein TikTok-Account wird‘s nicht richten. Solange sich nicht auch die Struktur in den Redaktionen verändert, die Themenlagen in Politik und Medien breiter werden und die Medienkompetenz in der Bevölkerung wächst, wird eine Online-Strategie nicht automatisch das abwandernde Publikum zurückholen und parallel dazu ein völlig neues erschließen. Wer darauf beharrt, "die Jungen" würden allesamt nur nach Zehn-Sekunden-Klimaschutz-Content verlangen, macht das Alter zu einer größeren Kategorie, als es ist. Bei der vergangenen Landtagswahl in Salzburg lag die FPÖ bei den unter 30-jährigen Wählerinnen und Wähler auf Platz eins. Fraglich, ob sich deren Anspruch an journalistische Medien automatisch mit jenem von jungen Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten kreuzt, die sich in Wien auf die Straße kleben. Alter allein ist eben doch nicht alles.
"Diese Alten!!1!"
Bei "den Alten" ist das nebenbei nicht anders. "Die Alten" verwenden kein Internet, "die Alten" wollen nichts über Popkultur lesen, "die Alten" mögen es nicht, wenn gegendert wird. Und zusätzlich dürfen sie noch für jeden "verpassten" Strukturwandel in der Medienbranche herhalten. Das fehlende Gehalt und die fehlende Fixanstellung beim Nachwuchs sind auf einmal deren Schuld, weil sich Generationenkonflikte populistischer diskutieren lassen als grundlegende Systemfehler, grundlegende Versäumnisse der gesamten Branche. Wenn eine ganze Generation in der prekären Selbständigkeit steckt und Medienhäuser tendenziell eher Stellen abbauen als nachzubesetzen, ist der Neid eine große Versuchung, hilft aber niemandem. Ausgeglichene Redaktionen brauchen junge und alte Redakteurinnen und Redakteure gleichermaßen, um die Gesellschaft anständig widerspiegeln zu können, um einen gewissen Perspektivenreichtum zu garantieren. Und daran hapert es, nicht weil die einen Plätze besetzen, sondern weil für die anderen keine geschaffen werden.
Und dabei bleibt es ja nicht. Abseits davon fehlt es vor allem an Journalistinnen und Journalisten ohne akademische Ausbildung, aus Arbeiterfamilien, mit Migrationsgeschichte oder Personen, die nicht weiß sind. Die österreichischen Redaktionen sind in diesen Fragen so homogen, wie sie es bei "jungen Menschen" gerne annehmen.
Das Problem sind also weder "die Alten" noch "die Jungen", das Problem ist, dass wir durch diese Diskussion gerne alle anderen Kategorien ausblenden. Achtung, Materialismus. Karl Marx schreibt in "Zur Kritik der politischen Ökonomie": "Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt." Dementsprechend gilt es unterschiedliche Lebensrealitäten einzufangen, um unterschiedliche Betrachtungswinkel darstellen zu können. Das andauernd auf eine reine Generationenfrage zu reduzieren, macht es dem Journalismus schwer. Und verwässert.
Schließlich gibt es sie noch, nicht in Massen, aber sie sind da: "Die Jungen", die gerne Print lesen wollen, und "die Alten", die sich am liebsten über soziale Netzwerke informieren. Und ein Haufen Menschen, die dem Journalismus generell nicht mehr vertrauen. Und wahrscheinlich wäre man besser beraten, sich auf jene zu konzentrieren, statt immer wieder auf Zoomer und Boomer zurückzukommen.