Brüssel befürchtet Super-Gau für Reformbestrebungen. | Iren fühlen sich zu wenig informiert. | Dublin. Die Hiobsbotschaft aus Irland hat Brüssel wie ein Schlag getroffen. Nicht einmal eine Woche vor der Abstimmung der grünen Insel über den Vertrag von Lissabon haben die Reformgegner erstmals die Führung übernommen. 35 Prozent der Bevölkerung wollen bei dem Referendum am Donnerstag mit Nein stimmen, ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS im Auftrag der "Irish Times". Nur noch 30 Prozent der Iren würden bei der Volksabstimmung für Ja optieren. 28 Prozent der 1000 Befragten gaben an, unentschlossen zu sein und sieben Prozent wollen erst gar nicht wählen gehen.
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Damit hat das Nein-Lager seit der letzten Umfrage vor drei Wochen 17 Prozent zugelegt, während die Befürworter fünf Prozentpunkte eingebüßt haben. Die Gegner hatten in den letzten zwei Wochen konstant aufgeholt. Als Grund für ihr Nein-Votum gaben die Befragten an, nur mangelhaft über den Lissabon-Vertrag informiert worden zu sein.
Für Brüssel ist das mögliche Nein der Super-Gau bei den Reformbestrebungen der EU. Irland ist nämlich der einzige der 27 EU-Mitgliedstaaten, der in einer Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag entscheidet und somit das einzige Land, in dem ein Nein-Votum möglich wäre. In allen anderen Staaten ist die Ratifizierung des umstrittenen Regelwerks reine Formsache, da es dort dem Parlament obliegt, den Vertrag durchzuwinken.
Da für ein erfolgreiches Inkrafttreten des Reformvertrags jedoch die Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten erforderlich ist, würde eine Ablehnung Irlands sein Aus bedeuten. Schon die ursprünglich geplante EU-Verfassung wurde durch negative Volksabstimmungen in Frankreich und Holland zu Fall gebracht. Um die darin enthaltenen Reformen dennoch auf den Weg zu bringen, haben sich die EU-Mitgliedstaaten vor einem Jahr auf den Vertrag von Lissabon geeinigt, der sich Experten zufolge zu etwa 95 Prozent mit der EU-Verfassung deckt. Sollte dieser nun ebenfalls scheitern, gibt es laut einstimmigen Aussagen von irischen und europäischen Politikern keinen Plan B.
EU auf Jahre blockiert?
Außerordentlich unangenehm könnte die Ablehnung für Frankreich werden, das im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Die Agenda würde nämlich durch Krisensitzungen in den Hintergrund gedrängt werden, in denen die Politiker darüber beraten, wie man trotz allem die behäbigen Strukturen und Verwaltungsapparate effizienter gestalten kann. Ein Nein Irlands könnte auch die britische Regierung in Bedrängnis bringen, die trotz erbitterter Proteste der Opposition ein Referendum im Vereinigten Königreich ausgeschlossen hat.
Die negative Stimmung in Irland ist umso erstaunlicher, als fast alle politischen Parteien geschlossen für ein Ja eintreten. Wissen sie doch am besten um die Auswirkungen des rebellischen Gemüts ihrer Landsleute Bescheid. Bereits im Jahr 2001 hatten die Iren den Nizza-Vertrag abgelehnt. Nachverhandlungen und ein zweites Referendum brachten das gewünschte Resultat. Für den Lissabon-Vertrag ist ein zweiter Anlauf nicht geplant.