Irlands Botschafter Tom Hanney hofft noch immer auf Mays Brexit-Deal und warnt vor Grenzkontrollen auf der Insel.
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"Wiener Zeitung": London möchte den Brexit bis Ende Juni vertagen, aber für EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kommt eine Verschiebung über den 23. Mai hinaus nicht in Frage. Was ist in dieser Zeit überhaupt möglich?
Tom Hanney: Theresa May will sie nutzen, um ihr Austrittsabkommen doch noch durchs Parlament zu bringen. Irland steht einer Verlängerung offen gegenüber und unterstützt jeden Versuch, der zu einem geordneten Brexit führen könnte.
Dublin spielt im Brexit-Streit eine zentrale Rolle. Eine harte Grenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland soll unter allen Umständen verhindert werden.
Der irischen Regierung geht es darum, den Friedensprozess in Nordirland zu schützen und eine harte Grenze in Irland zu verhindern. Wird das Austrittsabkommen akzeptiert, haben wir eine Übergangsphase von zwei bis drei Jahren, in der die künftigen Beziehungen verhandelt werden können. Der berühmte Backstop ist nur eine Notlösung: Falls wir uns in der Übergangsphase nicht einigen, kommt er ins Spiel - und das Vereinigte Königreich bleibt in der Zollunion der EU.
Daran stoßen sich viele Abgeordnete in Westminster. Wegen des Backstop haben sie Mays Brexit-Deal abgelehnt. Halten Sie ihn dennoch für lebendig?
Ja, der Deal lebt. Bis der Parlamentspräsident Anfang der Woche meinte, dass May denselben Deal nicht noch einmal zur Abstimmung bringen darf, war zu erwarten, dass es ein Votum diese Woche und vielleicht noch ein weiteres Ende des Monats geben wird. May hoffte, dass der Widerstand dagegen weniger wird, je näher der Brexit rückt. Sie drohte mit einer langfristigen Verschiebung, wenn das Unterhaus ihren Deal nicht annimmt. Dublin vertritt die Position, dass das Austrittsabkommen die beste Lösung ist. Es liegt im Moment nichts anderes auf dem Tisch und wir hoffen, dass es doch noch durchgeht.
Ist das in so kurzer Zeit überhaupt möglich?
Es wäre hilfreich zu wissen, wozu die zusätzliche Zeit genutzt werden soll. Es hilft niemandem, die aktuelle Verwirrung während der kommenden Monate weiterzutreiben. Nach drei Jahren brauchen wir endlich Gewissheit.
Hat Dublin je um die Solidarität der restlichen Mitgliedstaaten gefürchtet? London hat ja versucht, die EU-Länder beim Thema Backstop zu spalten.
Die Mitgliedstaaten waren sich von Anfang an einig, dass die Irlandfrage essenziell ist. In London war man überrascht darüber, wie sehr die EU hier zusammengehalten hat: Es darf keine harte Grenze auf der irischen Insel geben. Diese Frage wurde während des Wahlkampfs vor dem Referendum überhaupt nicht behandelt. Als sie dann auftauchte, war Großbritannien verblüfft. Kein EU-Land hat je darauf gedrängt, dass wir hier Kompromisse eingehen sollten. Das Interesse daran, dass Nordirland nicht destabilisiert wird, ist in der gesamten EU groß.
Konservative, vor allem britische, fragen immer wieder, wieso Irland nicht einfach mit dem Vereinigten Königreich aus der EU austritt. Immerhin gebe es dann auch kein Problem mit der irischen Grenze.
(lacht) Aktuelle Umfragen zeigen, dass mehr als 90 Prozent der Iren in der EU bleiben wollen. Wir hatten immer eine andere Einstellung gegenüber der EU als Großbritannien. Als Irland 1973 gemeinsam mit Dänemark und dem Vereinigten Königreich beitrat, waren wir wirtschaftlich sehr abhängig von Großbritannien. Unsere Währung war an das Pfund gekoppelt, die Bank of England bestimmte unsere Zinssätze. Durch die Situation in Nordirland war unser Dasein dominiert von unserem Nachbarn. Nach dem EU-Beitritt veränderten sich die Beziehungen - weg von der Abhängigkeit und hin zu gleichberechtigten Partnern. Unsere Perspektive auf Europa und die Welt änderte sich. Wir sind in der EU groß geworden, sie ist unser Zuhause. Unsere Exporte sind weniger abhängig vom Vereinigten Königreich, wir haben internationale Investoren angelockt. Nach dem EU-Beitritt haben wir stark von EU-Subventionen profitiert, heute sind wir Nettozahler. Würden wir austreten, brächte uns das zurück in die 1970er, zurück in die Abhängigkeit von Großbritannien. Das wird nicht geschehen.
In Nordirland wurde eben ein britischer Soldat verurteilt, der am Bloody Sunday 1972 an der Erschießung von 14 katholischen Zivilisten beteiligt war. Zuvor hatte die britische Nordirlandministerin behauptet, diese Soldaten hätten lediglich ihre Pflicht getan. Was lösen diese Worte in Zeiten des Brexit in Irland aus?
Es ist ein großes Problem, dass es in Nordirland derzeit keine Regierung gibt. Das Karfreitagsabkommen legt fest, dass Katholiken und Protestanten sich die Macht in Belfast teilen müssen, aber die Regierung ist schon vor längerem kollabiert. Stattdessen stützt nun Nordirlands größte Unionistenpartei die Regierung in London. Die DUP nimmt dort eine überproportional große Rolle ein. Für die Politik in Nordirland ist das nicht gesund. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 herrscht Frieden, aber was die Aussöhnung betrifft, ist noch ein weiter Weg zu gehen. Bevor die Regierung in Nordirland sich auflöste, gab es einen Prozess der Aufarbeitung. Der steht jetzt still, die Situation ist fragil. Der Brexit bereitet Nordirland große Probleme. Die Mehrheit hat dort für den Verbleib in der EU gestimmt. Nun ist die Grenzfrage, die bis ins Jahr 1922 zurückgeht, wieder da. Das ist ungesund.
Welche Möglichkeiten zur Vermeidung von Grenzkontrollen gibt es neben Mays Deal?
London hat angekündigt, bei einem No-Deal-Brexit temporär keine Zölle auf Waren aus der EU einzuheben.
Diesen Gefallen kann die EU kaum erwidern.
Die EU muss den Binnenmarkt schützen. Die Regierungen Londons, Dublins und auch die EU müssen ernsthaft überlegen, wie bei einem ungeordneten Brexit verfahren werden soll.
Was könnte die Lösung sein? Die EU kann die Zölle auf Produkte aus dem Vereinigten Königreich nicht einfach abschaffen. Das wäre ungerecht gegenüber anderen Drittstaaten.
Bei einem No-Deal-Brexit gebe es eine harte Grenze mit allen Konsequenzen. London und Dublin haben aber auch Verpflichtungen nach dem Karfreitagsabkommen. Das besagt, dass sie in vielen Bereichen kooperieren müssen. Es gilt, eine Balance zu finden zwischen den Verpflichtungen der internationalen Verträge und jenen des Karfreitagsabkommens. Wir müssen mit den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission eine Lösung finden.
Für den Fall, dass bei einer harten Grenze in Irland keine Zölle erhoben werden, müsste es dann nicht Kontrollen zwischen dem Kontinent und Irland geben?
Das geht nicht, wir sind ein Mitgliedstaat.
Eben, wie soll das funktionieren?
Die gesamte irische Insel wird innerhalb der EU als Einheit gesehen. Es gibt bereits Kontrollen bei Tiertransporten zwischen Nordirland und Großbritannien. Eine Möglichkeit, eine harte Grenze in Irland zu vermeiden, wäre etwa ein Sonderstatus für Nordirland. Doch wir hoffen immer noch sehr auf einen geordneten Brexit.
Ein Sonderstatus scheint mit der Regierung in London unmöglich. Muss es dazu Neuwahlen geben?
Ich kann darüber nicht spekulieren. Wir wollen keinen Brexit ohne Deal, aber wenn es dazu kommt, müssen wir auch diese Situation meistern. Wir brauchen dann ein Abkommen. Es ist nicht gesagt, dass in Großbritannien nach einem No-Deal-Brexit alles bliebe, wie es ist. Es kann sich vieles ändern und wir müssen darüber sprechen.
Mit dem Brexit steht die Frage einer Wiedervereinigung Irlands wieder im Raum. Viele Beobachter meinen, die Tories haben in drei Jahren mehr dafür getan als irische Republikaner im vergangenen Jahrhundert. Wie stehen die Chancen?
Ja, diese Option wird wieder diskutiert. Das Karfreitagsabkommen schreibt die Möglichkeit eines Referendums in Nordirland über eine Wiedervereinigung vor. Sinn Féin (irisch-republikanische Partei in Irland und Nordirland, Anm.) setzt sich vermehrt dafür ein, aber die Regierung in Dublin teilt diese Ansicht nicht. Wir halten das für eine nicht hilfreiche Ablenkung. Der Brexit ist eine große Herausforderung für Irland, Nord wie Süd, und eine ernsthafte Debatte über ein Referendum würde die Krise nur verschärfen. Prinzipiell unterstützen die Iren in der Republik diese Idee aber.
London unterstützt Nordirlands Wirtschaft mit zehn Milliarden Pfund jährlich. Für eine Wiedervereinigung müsste es auch in Dublin ein Referendum geben. Würden die Menschen zustimmen?
Davon ist auszugehen, aber das sind alles Fragen für die Zukunft. Klar ist, dass der Brexit für Nordirland schlecht ist und die wirtschaftlichen Folgen auch für den Süden gravierend sein werden. Der Norden wird wohl am meisten leiden. Es bleibt abzuwarten, wie sich all das auf die Ansichten der Menschen auswirkt.