Die Iren sind am morgigen Donnerstag zu einem Referendum über den Vertrag von Nizza aufgerufen. Irland ist damit das erste Mitgliedsland - mit großer Verfassungstradition, das über den neuen EU-Vertrag abstimmt.
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Irlands Regierungschef Bertie Ahern bediente sich der moralischen Keule und nahm Anleihen bei der Katholischen Kirche: Auch Papst Johannes Paul II. habe sich wiederholt für die europäische Einigung und die EU-Erweiterung ausgesprochen. Die Aufnahme neuer Mitglieder sei eine "moralische Verpflichtung", Voraussetzung dazu sei die Zustimmung zum Vertrag. Doch Kritiker führten ins Treffen, dass bereits im Vertrag von Amsterdam die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten festgeschrieben sei.
Der Nizza-Vertrag hat - wie die Unionsverträge generell - Verfassungsrang. Eine Änderung der Verfassung ist damit nicht verbunden. In Österreich ist daher auch keine Volksabstimmung über den neuen EU-Vertrag notwendig. Der Vertrag muss vom Parlament mit Zwei-Drittel-Mehrheit abgesegnet werden. Formal in Kraft tritt er erst, wenn die nationalen Parlamente der EU-15 zugestimmt haben werden. Das dürfte nicht vor Jahresende der Fall sein, wie etwa Belgien - das in der zweiten Jahreshälfte den EU-Vorsitz ausübt - bereits verlauten ließ. In Frankreich soll die Nationalversammlung am kommenden Dienstag über den Vertrag abstimmen, bis Ende des Monats soll der Senat entscheiden.
In Österreich sollte der neue EU-Vertrag auf Wunsch von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel noch vor dem Sommer ratifiziert werden. Die Opposition steigt jedoch auf die Bremse und stellt Bedingungen. Die SPÖ fordert einen Beschluss aller vier Parlamentsparteien über die künftige Europapolitik; demnach sollen nach Aussage von SP-Chef Alfred Gusenbauer die EU-Reformen nicht mehr von der Regierungskonferenz, sondern durch einen demokratischen Konvent erarbeitet werden. Über das Mandat des Konvents soll im Dezember in Laeken entschieden werden (die "Wiener Zeitung" berichtete). Der so genannte Post-Nizza-Prozess ist Thema einer parlamentarischen Enquete am 20. Juni. Die Ratifizierung des Vertrags ist kaum anzuzweifeln. Der stv. SPÖ-Vorsitzende, Nationalratspräsident Heinz Fischer erwartet sich eine breite Mehrheit dafür, wenn nicht sogar einhellige Zustimmung.