In der EU nimmt die Politikverdrossenheit zu. Die meist populistischen Versuche, dieser zu begegnen, helfen nur kurzfristig und vordergründig.
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Die tiefe Vertrauenskrise hat sich in weiten Teilen der Bevölkerungen eingegraben. Aus dem Misstrauen gegen den Staat, vor allem die Parteien und einzelne Politiker, gegen Manager und Spekulanten, kann leicht eine unkalkulierbare Haltung erwachsen, die rechtsextreme Strömungen begünstigt, sodass nationale beziehungsweise chauvinistische Politiken extrem erstarken, Fremdenhass zunimmt (das muss nicht einmal rassistisch sein) und, zugleich, eher versucht wird, sich selbst noch ein Stück vom Kuchen zu holen, wo und wie auch immer.
Verdrossene reagieren oft irrational, schier fixiert in ihrer überzeugten Enttäuschung und Empörung. Doch Letztere ist nur dann gesellschaftlich begrüßenswert, wenn die Empörten nicht nur wütend ihrem Zorn unartikuliert Ausdruck geben, sondern ihn politisch kanalisieren. Bei den meisten führt das bedauerlicherweise zur Unterstützung von Rechtsextremen, Populisten, Chauvinisten.
Wolfgang Schüssel hat in Österreich mit Jörg Haider einer Partei zur Regierung verholfen, die viel versprach. Sie hat nicht nur wenig gehalten, sondern das Gegenteil praktiziert, wovon sie telegen populistisch sprach. Vor allem in Kärnten, dem Hausmachtland der Haider-Partie herrsch(t)en Korruption und Klientelpolitik, die Österreichs Steuerzahlern Milliardenkosten verursachten. Trotzdem könnte die FPÖ bei den nächsten Wahlen wieder "abräumen". Verdrossene wägen nicht ab, prüfen nicht Argumente, sondern ventilieren ihre Empörung. Dabei unterstützen sie jene, deren simple, populistische Haltungen höchst problematisch und teuer sind beziehungsweise deren Partei bis über den Hals im Korruptionssumpf steckt.
Ähnliches ist vor allem in Südeuropa zu sehen. Dort sucht und findet man die Gründe von Versagen, Korruption, Misswirtschaft und immensen Schulden einfach außen: Europa soll zahlen, sie selbst sind Opfer. Während ihre Regierungen von den Ländern, die weniger korrupt wirtschaften, Geld fordern, entlädt sich der Zorn des gewöhnlichen Bürgers in Ausländerhatz und Gewaltakten gegen Minderheiten.
Vor wenigen Tagen kam ich bei einer Konferenz mit zwei ungarischen Lehrerinnen ins Gespräch, die hellauf begeistert vom Fortschritt ihres Landes unter Viktor Orbán sprachen und meinten, die Medien lögen, die anderen hassten Ungarn, weil Orbán eine unabhängige Politik betreibe. Sie seien jetzt viel freier. Alles, was man über sie berichte, sei Lug und Trug. Und die Roma, von denen die Ausländer reden, seien keine Opfer, sondern wirkliche Asoziale, die sich nicht integrieren wollten, auch wenn man ihnen helfe. Mir kamen diese Frauen, Angehörige der Bildungsschicht, die mit dem Glanz Überzeugter, wie Sektenmitglieder, lobpreisten, wie Verdrossene vor, die sich in einen eigentümlichen, bornierten Enthusiasmus geflüchtet hatten.
Der verengte Blick auf die Realitäten, die Pflege simpler Feindbilder, der Ausdruck von Wut und Zorn sind die Ingredienzien für eine fatale Politik. Und was macht die EU? Sie verteilt Gelder, gibt über die EZB Kredite, konferiert und beschließt Bankenhilfen. Die Verdrossenheit nimmt derweil zu. Quo vadis?