Zur (Un)verhältnismäßigkeit von Klimaaktivismus und Kunst.
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Mit brachialen Kunstbeschmutzungs- und Klebeaktionen gelingt es derzeit den Klimaaktivisten der "Letzten Generation", auf unsere ökologische Misere in drastischer Weise aufmerksam zu machen. Als Provokation scheinen diese Aktionen schon gelungen, denn die Folge ist eine allgemeine Empörung in weiten Teilen der Bevölkerung. Neben solch negativer Reaktion ist es jedoch auch bemerkenswert, dass viele Intellektuelle Verständnis für die Aktivisten zeigen und Solidarität mit deren Anliegen bekunden. Wofür die Intellektuellen allerdings wenig Beifall zollen, ist die Tatsache, dass hier hoch geschätzte Kunstwerke, die mit der ökologischen Problematik unmittelbar nichts zu tun haben, gefährdet und mitunter beschädigt werden.
Das Fehlen eines direkten inhaltlichen Zusammenhangs von Kunst und Ökologie, der die politischen Aktionen an der Kunst rational rechtfertigen könnte, ist dabei gewiss befremdlich. Gerade auch, wenn man bedenkt, dass hier zumeist Werke von Künstlern betroffen sind, die sich ohnehin auf Seiten des Fortschritts verstehen oder verstanden haben und in ihrer Kunst häufig selbst mit provokanten Methoden zu arbeiten gewohnt sind oder waren.
Es ist auch gar nicht einfach - wenn nicht unmöglich -, eine unmittelbare logische Verbindung zwischen den Anliegen der Kunst und denen des Ökoaktivismus zu entdecken oder auch nachträglich herzustellen. Auch scheint es mehr als fraglich, ob Derartiges von Seiten der Aktivisten überhaupt intendiert ist. So verleiht dieser Mangel an direkt erfahrbarer Sinnhaftigkeit dem Aktivismus eine gewisse Fadenscheinigkeit in seiner rationalen Argumentierbarkeit und wird letztlich nur zu einer Verwirrung von künstlerischer Aktion und ökopolitischem Aktivismus beitragen. Das ist zumindest eine gängige Meinung in den Kreisen der Beschützer von Kunst - und das unabhängig davon, ob hier auch ein Verständnis für die Klimaproblematik besteht oder nicht.
Intellektuelle in einerprekären Lage
Es sind aber gerade diejenigen Intellektuellen, die um ein rationales Verhältnis von Ökoaktivismus und Kunst bemüht sind, welche durch die betont irrationalen Aktionen in die prekäre Lage gebracht werden, auf paradoxe Weise - etwa mittels einer "unvernünftigen Vernunft" oder "irrationalen Rationalität" - argumentieren zu müssen. Ist es doch das vorrangige Bestreben der Intellektuellen, allein die Vernunft als Grundlage einer jeden fortschrittlichen Politik anzusehen.
In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der Philosoph und politische Intellektuelle Roland Barthes bereits im Jahr 1957 zu dem heute erforderten Denken in paradoxen gesellschaftlichen Strukturen bei seiner Auseinandersetzung mit den "Mythen des Alltags" Stellung genommen hat. Im Besonderen hat er in einer Analyse von politischen Streiks auf den damit verbundenen intellektuellen Skandal hingewiesen: "Der Skandal entspringt einem Verstoß gegen die Logik. Der Streik ist skandalös, weil er gerade diejenigen behindert, die er nicht betrifft. Es ist die Vernunft, die hier leidet und sich auflehnt. Die unmittelbare, mechanische, man könnte sagen: die berechenbare Kausalität ist gestört. Die Wirkung breitet sich unbegreiflich fern von der Ursache aus, entzieht sich ihr, und genau das ist das Unerträgliche, Schockierende."
Der Streik zeigt, "dass in der Gesellschaft alle von allen betroffen sind. Wenn die Bourgeoisie gegen Behinderungen durch diesen Streik protestiert, bestätigt sie nur den Zusammenhang der sozialen Funktionen, den sichtbar zu machen ja der eigentliche Zweck des Streiks ist. Die Paradoxie liegt darin, dass der Kleinbürger die Natürlichkeit seiner Vereinzelung genau in dem Augenblick beschwört, in dem der Streik ihn dazu zwingt, sich der Evidenz seiner Abhängigkeit zu beugen."
Dem Streik immer schon innewohnende Irrationalität
Das Interessante an Barthes’ Argumentation ist, die dem Streik immer schon innewohnende Irrationalität nicht aufzulösen. Er betont vielmehr die Irrationalität als einen konstitutiven Bestandteil seiner gesellschaftlichen Funktion und Wirkung. Die heutige Problematik des Aktivismus gleicht der des Streiks. Hier wie dort wird die Wirkung der Aktion durch kollaterale Beeinträchtigung der anderen auf ein Vielfaches gesteigert - ein provokativer Effekt, der auch schon von der Psychotechnik der "paradoxen Intervention" hinlänglich bekannt ist.
Barthes’ Überlegungen zum Streik könnten uns nicht nur dazu verhelfen, die neueren Formen des politischen Aktionismus besser zu verstehen und angesichts der Erfolglosigkeit von Klimakonferenzen womöglich auch zu akzeptieren. Sie bieten uns darüber hinaus noch die Möglichkeit, die genuin widersprüchlichen und, man könnte auch sagen: dialektischen Zusammenhänge von politischem Denken und politischer Aktion weiterzuentwickeln - und das sogar in ihren irrationalen Dimensionen, derer sie mitunter bedürfen.