Zum Hauptinhalt springen

Irritationen beim Gehaltsrechner

Von Robert Boder

Gastkommentare
Robert Boder ist IT-Fachmann und beschäftigt sich als ehemaliger Betriebsrat mit Gleichstellungspolitik.

Frauen müssten von massiver Überzahlung über den Kollektivvertrag ausgehen, um an das Einkommen eines Mannes heranzukommen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Vor bald vier Jahren habe ich in einem Gastkommentar in der "Wiener Zeitung" zum Mythos der Einkommensschere angemerkt, dass die Statistik Austria ohne Berücksichtigung der Kollektivverträge und der dort enthaltenen Berufsbilder keine seriösen Detaildaten liefern kann und darf, die einer einzelnen Arbeitnehmerin weiterhelfen würden. Der jüngst von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek vorgestellte Gehaltsrechner (im Internet unter www.gehaltsrechner.gv.at) basiert auf den bemängelten Daten; und auf dem Versuch, Berufe zu integrieren. Ausprobiert habe ich ihn trotzdem. Hier zwei Beispiele:

Eine 40-jährige Kassiererin im Handelskollektivvertrag 2011 - Allgemeiner Groß- und Kleinhandel - mit 20 Jahren Berufserfahrung, die es gewohnt ist, unter Anleitung selbständig zu arbeiten, will mit 40 bezahlten Wochenstunden in Wien den Arbeitgeber wechseln. Eingestuft ist sie in der Verwendungsgruppe III im 18. Berufsjahr - mehr geht nicht - mit mindestens 1929 Euro brutto. Würde sie nach Salzburg oder Vorarlberg wechseln, stünden ihr übrigens 3,3 Prozent mehr zu.

Der Online-Gehaltsrechner gibt ihr die Auskunft, dass ihr mindestens 3023 Euro brutto zustünden. Wäre sie ein Mann, wären es noch 17 Prozent mehr, also 3537 Euro. Der aufmerksame Leser wird also feststellen, dass in diesem Beispiel Frauen von 83 Prozent Überzahlung über den Kollektivvertrag ausgehen müssten, um an das Einkommen eines Mannes heranzukommen.

Dasselbe Beispiel nun mit einer 40-jährigen Elektrikerin, die in oben genannten Kollektivvertrag wechselt - auch Handelsriesen brauchen Licht. Es werden ihr zum Beispiel freiwillig nur zehn Berufsjahre anerkannt, weil ihre Herkunftsbranch(en) nicht gänzlich den im Kollektivvertrag angegebenen Ausbildungen entsprechen. Damit verliert die Elektrikerin schon einmal sechs Urlaubstage im Jahr. Eingestuft wird sie so in die Verwendungsgruppe III - wie die Kassiererin -, allerdings im zehnten Berufsjahr mit 1689 Euro brutto. Laut dem Gehaltsrechner wäre sie 3324 Euro wert, als Mann sogar 3856 Euro, gemäß KV-Metall stünde sie bei 2584 Euro.

Die Elektrikerin muss so ihren KV-Marktwert in die Gehaltsverhandlung einbringen, der sich an den gesetzlichen Ausbildungsverordnungen und damit deutlich abweichenden Aus- und Weiterbildungszeiten sowie dem aktuellen Stand der Technik und am Technikermangel orientiert. Zusätzlich muss sie auch noch darum verhandeln, die sechs Urlaubstage nicht zu verlieren.

Realistisch gesehen können beide ohne Zusatzqualifikationen nur mit dem Ausgangsbetrag ihres Herkunftskollektivvertrags in die Verhandlung gehen und die Überzahlung erraten. Die Grunddaten, mit denen amtlicherseits gerechnet wird, sind ohne ernsthafte Gewichtung von Betrieb, Herkunftskollektivvertrag und Berufsbild für die einzelne Hilfesuchende nicht von Wert. In allen Branchen.

Als Kassiererin/Technikerin mit den derzeit errechneten Daten in Verhandlungen zu treten, wäre nicht zu empfehlen. Don’t call us, we call you.