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Irritationen folgen Vorschusslorbeeren

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Brasiliens Präsident geht neue Wege und enttäuscht so manche, die für ihn gekämpft hatten.


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Auf dem handbemalten Plakat steht "Lula weg - Amtsenthebung jetzt", dazu wehen ein paar brasilianische Fahnen im Wind. Es ist Sonntagnachmittag in Rio de Janeiro und eine Handvoll Kritiker des neuen brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva (77) haben sich zu einer Kleindemonstration eingefunden. In Sichtweite steht ein umgebauter VW Bulli, aus dessen in den Türen angebrachten Boxen laute Rockmusik dröhnt.

"Man will uns die Meinungsfreiheit wegnehmen. Viele Menschen, die sich auf Instagram kritisch zur Regierung Lula äußern, werden gesperrt. Dabei gibt es viele Dinge, die vielen Leuten nicht gefallen. Selbst jenen nicht, die Lula gewählt haben", sagt Lais Uchoa (23). Sie hat das Plakat gemalt und sieht Brasilien auf dem Weg in eine linke Diktatur.

Wenige Meter entfernt hat Cecilia Junqueira (29) eine andere Einschätzung: Brasilien befinde sich in einem Prozess der Veränderung: "Hin zu einer neuen Realität für Minderheiten und für eine neue ökologische Politik. Auch wenn es noch ein langer Weg ist."

Zwei Meinungen, die unterschiedlicher nicht sein können, aber den Gemütszustand im größten lateinamerikanischen Land ganz gut abbilden: gespalten und polarisiert. Über Ostern wird Brasiliens neuer linksgerichteter Präsident Lula da Silva 100 Tage im Amt sein. In dieser Startphase hat der Mann, der Brasilien schon einmal von 2003 bis 2010 regierte, für einige Überraschungen gesorgt und bisweilen auch das eigene Lager vor den Kopf gestoßen.

Paulo Coelho bereut seine Wahlkampf-Hilfe

Brasiliens Bestsellerautor Paulo Coelho gehört zu jenen, die enttäuscht sind von Lulas Start. Er bereute nun öffentlich seine Unterstützung im Wahlkampf. "Ich sehe nicht, dass sich meine Stimme gelohnt hat", sagte Coelho vor einigen Tagen. Lulas vulgäre Sprache im Umgang mit dem ehemaligen Richter Sergio Moro, der ihn ins Gefängnis brachte, hat Lula-Wähler erschreckt, denn eigentlich war Brasilien diesen eines Präsidenten unwürdigen Umgangston von Lulas rechtspopulistischem Vorgänger Jair Bolsonaro gewohnt. Lula hatte in einem Interview davon gesprochen, Moro "ficken zu wollen".

Innenpolitisch zählte Lulas Entscheidung, die Rechte der afrobrasilianischen Bevölkerung beim Zugang von Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung zu stärken, zu den positivsten Momenten der ersten Monate - ebenso wie Signale, das Gesundheits- und Bildungswesen zu stärken. Kritisch sind Korruptionsvorwürfe gegen einige Kabinettsmitglieder.

Außenpolitisch gibt es vor allem in Washington, Brüssel und Berlin einige enttäuschte Gesichter: So ließ Lula entgegen der Bitte der USA zwei iranische Kriegsschiffe in Rio de Janeiro anlegen, während das Mullah-Regime in der Heimat tödliche Jagd auf Mädchen und Frauenaktivistinnen macht. Im UN-Sicherheitsrat stimmte Brasilien gemeinsam mit China für eine von Russland eingebrachte Nord-Stream-Resolution. Auch beim sogenannten Demokratie-Gipfel in den USA wollte Brasilien keine russlandkritische Erklärung unterschreiben.

Beim Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz hatte Lula dessen Bitte für Munitionslieferungen an die Ukraine mit dem Verweis auf eine neutrale Position Brasiliens eine klare Absage erteilt. Nun scheint sich Lula aber immer mehr den Positionen Chinas und Russlands anzunähern. Alle drei Länder sind gemeinsam mit Südafrika und Indien Mitglied im Staatenbund Brics. Und diese einflussreichen Staaten drängen mehr und mehr darauf, in der Weltpolitik den Westen als führende Macht abzulösen - und die USA in die Schranken zu weisen.

Zu beobachten ist, wie Lula das Thema Ukraine auf der nach Ostern geplanten großen China-Reise positionieren wird. Russland und China könnten sich Lula sehr wohl als Vermittler vorstellen.

Beziehungen nach China sollen gestärkt werden

Die mehrtägige Reise nach China ist ein Spektakel an sich. Es sollen mehr als zwei Dutzend Kabinettsmitglieder sowie 200 Unternehmer für mehrere Tage ins Reich der Mitte reisen. Das macht deutlich, welche herausgehobene Stellung der neue Präsident den brasilianisch-chinesischen Beziehungen einräumen wird. In seiner Zukunftsstrategie hat China, der größte und wichtigste Abnehmer der brasilianischen Agrarprodukte, eine Schlüsselrolle inne. Schon in seiner ersten Amtszeit stellte Lula die Weichen dafür, dass China seine Soja-Importe aus Brasilien vervielfachte. Lula weiß: Anders als die kritische EU, die das immer noch nicht ratifizierte Mercosur-Freihandelsabkommen mit Umweltvorschriften versehen will, stellt Peking keine Fragen und macht auch keine Vorschriften.

Als Nachfolger von Bolsonaro, der sich wegen seiner umweltfeindlichen Politik selbst international isolierte, flogen Wahlsieger Lula die Herzen der internationalen Staatengemeinschaft zu. Vor allem, weil Lula eine Null-
Abholzungsstrategie im für das globale Klima so wichtigen Ökosystem Amazonas versprach. Allein aus Deutschland flossen für die ersten drei Monate 200 Millionen Euro als Soforthilfe für eine neue Umweltpolitik. Doch nun wachsen bei Umweltschutzorganisationen erste Zweifel, dass es wirklich viel besser wird. Zwar gibt es spektakuläre Bilder von der Zerstörung der Ausrüstung der Holzfäller und Goldsucher im Amazonas. Doch die dürften ihr lukratives und todbringendes Geschäft bald an anderer Stelle fortführen. Im Februar stieg die Amazonas-Abholzungsrate überraschend; im letzten Amtsjahr Jair Bolsonaros war sie noch rückläufig.

Hinzu kommen umstrittene Entscheidungen wie die trotz lauter Warnungen von Meeresschutzorganisationen durchgezogene Versenkung eines Kriegsschiffes voller Giftmüll im Ozean. Die anvisierte Expansion des Rindfleischexports, die Zulassung des Anbaus genveränderten Weizens, die Aufweichung von Bestimmungen, die eine Abholzung des Atlantikwaldes erleichtern und das Vorhaben, im ökologisch hoch sensiblen Amazonas-Mündungsbecken die Erdölexploration voranzutreiben: All das klingt nicht nach einem radikalen Kurswechsel Brasiliens in der Umweltpolitik. Die Regierung Lula hatte sich verpflichtet, bis 2030 in allen Ökosystemen keine Abholzung mehr vorzunehmen. Aber mit diesen Genehmigungen werde in der Praxis das Ziel nicht erreicht werden, kommentierte vor wenigen Tagen die Waldschutzorganisation "SOS Atlantikwald" enttäuscht.

Mitarbeit: Ramona Samuel