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Irrwege auf rohen Eiern

Von Simon Rosner

Leitartikel

Ein Hin und Her bei Maßnahmen verringert deren Akzeptanz.


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Diese Epidemie ist eine Zumutung. Und es ist deshalb nachvollziehbar und wohl gut gemeint, dass die Politik bestrebt ist, der Bevölkerung so wenig wie möglich zuzumuten, wenn es das Virus nur irgendwie erlaubt. Die Regierung hat sich da von einem zwar guten, wenn auch nicht wirklich wissenschaftlichen Artikel aus dem März inspirieren lassen, in dem vom "Hammer", also vom Lockdown, und vom darauffolgenden "Tanz" bis zum Vorliegen einer Impfung zu lesen war. Mit dem "Tanz" war weder Tango noch Walzer gemeint, sondern ein Tanz auf rohen Eiern. Und das ist bekanntlich ein Kunststück; ein Kunststück, das der Regierung derzeit aber misslingt.

Das Leitmotiv "So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie nötig" taugt als Slogan und als hehrer Vorsatz, aber in der Epidemiebekämpfung ist ein Hin und Her, ein Mundschutz rauf/runter, ein Grenzen zu/offen nicht geeignet. Es führt zumindest zu Missverständnissen, im ungünstigen Fall aber zu einem Verlust der Akzeptanz von epidemisch notwendigen Maßnahmen. Und genau das droht derzeit zu passieren.

Warum, war zu hören und lesen, werden bei dem einen Cluster die Schulen geschlossen, bei einem anderen aber die Hotels nicht? Warum erhalten Kroatien-Urlauber einen Gratis-Test, aber wer in Serbien seine Familie besuchte, musste selbst zahlen? Warum ist der Mund-Nasen-Schutz im Supermarkt zu tragen, in der Drogerie aber nicht? Nun kann es für all diese Fragen gute Antworten geben, aber dann überschätzt die Regierung ihre kommunikativen Fähigkeiten. Es ist offensichtlich, dass die Argumente nicht oder zu wenig ankommen. Dabei schaffte es die Regierung, dass ein Großteil der Bevölkerung die Ausgangsbeschränkungen mittrug, nun scheint sie sich in den Differenzierungen zu verlieren.

Dazu kommt, dass es zwar gelingt, Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Ländern (beziehungsweise Bezirksbehörden) einigermaßen von der Öffentlichkeit fernzuhalten, sie werden aber offenkundig nicht gelöst. Wenn nach Monaten der Pandemie Bezirksbehörden kundtun, dass sie an der Grenze nicht durchgehend kontrollieren können, weil Personal fehlt, ist das als Erklärung ebenso ungenügend, wie dass es laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober zu aufwendig sei, Teststationen an die Grenzen zu stellen. Man muss die Proben ja nicht dort auswerten.

Vielleicht schafft die Corona-Ampel wieder mehr Klarheit. Sie ist ja der Versuch, das oft komplexe Infektionsgeschehen auf vier Farben herunterzubrechen. Die Regierung hat die Pandemie, wohl zu Recht, mit einem Marathon verglichen. Auf rohen Eiern kann man aber vielleicht ein paar Schritte tun, einen Marathon kann man darauf nicht bestreiten.