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"IS als Ungläubige zu bezeichnen, ist keine Lösung"

Von Alexander U. Mathé

Politik

Der Großmufti von Jordanien über religiöse Gewalt, Frieden und den Papst.


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"Wiener Zeitung": Sie nehmen an der Konferenz gegen Gewalt im Namen der Religion des Abdullah-Dialogzentrums teil. Mit welchen Erwartungen sind Sie nach Wien gekommen?Scheich Abdul Karim al-Khasawneh: Ich hoffe, dass wir gemeinsame Anknüpfungspunkte finden werden, um einen Plan zu entwickeln, dass die verschiedenen christlichen und muslimischen Institutionen zusammenarbeiten und so die Diversität des Zusammenlebens in den Arabischen Ländern unterstützen.

Wie erleben Sie denn dieses Zusammenleben? Zurzeit herrscht in vielen Arabischen Ländern Gewalt.

Diese Entwicklung ist sehr gefährlich, deshalb muss man entschieden dagegen vorgehen. Das, was manche Gruppierungen im Namen der Religion machen, widerspricht dem Wesen des Islam. Ich komme aus einem Dorf in Jordanien, in dem es viele Christen gegeben hat. Sie haben mit den Muslimen friedlich nebeneinander gelebt. Wir haben einander besucht und hatten keine Angst vor den anderen. Was aber jetzt in einigen Arabischen Ländern zu sehen ist, entspricht nicht unseren Traditionen: Der Islam ist eine friedliche Religion. Christen, Muslime, Jesiden und andere haben immer als eine große Familie zusammengelebt. In diesem Punkt gibt es im Islam einen ganz klaren Standpunkt gegen Gewalt und Zwänge. Der Prophet Mohammed hat gesagt: "Wer einem Christen oder Nicht-Moslem etwas Schlechtes antut, wird niemals ins Paradies kommen."

Und doch werden in diesem Moment Menschen im Namen des Islam - etwa durch IS - getötet. Sind Gruppierungen, die so etwas tun, Ungläubige?

Da muss man sehr vorsichtig sein. Denn die bezeichnen wieder alle anderen als ungläubig. Man darf aber nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sonst finden wir nie eine Lösung. Sie als Ungläubige zu bezeichnen, würde alles nur verkomplizieren. Dann verliert man jeglichen Zugang zu ihnen. So eine Situation hat es schon einmal gegeben unter den rechtsgerichteten Kalifen, den Charidschiten. Imam Ali hat seinerzeit einen Gesandten losgeschickt, um mit ihnen einen Dialog aufzubauen. Tatsächlich hat er es geschafft, 25.000 ihrer Anhängern wieder auf den rechten Weg zu bringen. Genauso sollten die religiösen Würdenträger heute einen Weg finden, diese Leute davon zu überzeugen, dass das, was sie machen, falsch ist. Man sollte auf sie zugehen und sie zum Verhandlungstisch bitten. Das wird nicht leicht, aber es ist möglich.

Welchen Schritt kann man da im Kaiciid setzen?

Ich hoffe, dass die Würdenträger von Christen, Muslimen und anderen Religionen, gemeinsam betonen werden, dass sie die Gewalt im Namen der Religion und im Allgemeinen kategorisch ablehnen. Denn das hat in den Arabischen Ländern dazu geführt dass, die Gesellschaften zusammengebrochen sind. Viele Menschen haben ihre Häuser verlassen müssen, viele wurden getötet.

Jordanien leidet ja auch an den Folgen der Gewalt. Wie ist dort die Situation?

Trotz aller Schwierigkeiten in der Region ist es dem Land gelungen, stabil zu bleiben. Gleichzeitig gibt es dort aber auch keine Probleme zwischen Christen und Muslimen.

Wie ist Ihre Erfahrung mit Papst Franziskus?

Papst Franziskus hat Jordanien besucht, so wie schon Papst Benedikt XVI. vor ihm. Das hat sowohl Christen und Muslimen das Gefühl gegeben, dass das schon eine Art Tradition ist. Es wird auch als ein Zeichen dafür gewertet, dass das Zusammenleben der beiden hier beispielhaft ist. Das ist also auch für Muslime etwas sehr Wichtiges. Es gibt aber gleichzeitig viele, die versuchen, die Lage zu destabilisieren. Die kommen aber nicht aus der jordanischen Gesellschaft, sondern von außen.

Was kann man jetzt konkret gegen religiöse Gewalt machen?

Das ist ein langer Prozess. Das geht nicht von heute auf Morgen. Noch dazu ist dieses Phänomen der religiösen Gewalt etwas Neues - in meiner Kindheit gab es das nicht. Da müssen alle religiösen Würdenträger zusammenarbeiten.

Zur PersonScheich Abdul Karim al-Khasawneh ist seit Februar 2010 Großmufti des Haschemitischen Königreiches Jordanien. Er ist der frühere Mufti der Streitkräfte Jordaniens.

Er ist auch Mitglied des jordanischen ifta‘ (Rechtsgutachter)-Ausschusses zusätzlich zur Mitgliedschaft im Vorstand der World Islamic University.