Progressive muslimische Denker debattierten in Berlin. | Berlin. "Die selbsternannten islamischen Staaten sind am schlimmsten." Der weltbekannte indische Islamgelehrte Ashgar Ali Engineer spart beim zweitägigen "Berlin Forum for Progressive Muslims" an der Friedrich-Ebert-Stiftung nicht mit Kritik. "In diesen Staaten gibt es keine Gleichberechtigung, weder für Muslime und schon gar nicht für Nicht-Muslime." Engineer verwies dabei auf sein Nachbarland Pakistan, wo Nicht-Muslime keine politischen Ämter innehaben können.
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Bereits zum vierten Mal bot das Forum progressiven islamischen Denkern die Möglichkeit zum Austausch. "Politisches Denken im Islam" war heuer das Thema. Engineer, der in Mumbai lebt und dort unter anderem Direktor des Instituts für Islamische Studien ist, forderte eine Trennung von Religion und Staat: "Es gibt im Islam kein Konzept für einen Staat, sondern nur Richtlinien für eine Gesellschaft. Zu Lebzeiten des Propheten Mohammed gab es weder Bürokratie noch Polizei."
Heute sei "eine völlig neue Jurisprudenz nötig, in der Muslime und Nicht-Muslime die gleichen Rechte haben", so Engineer. "Der Niedergang des Islam begann mit Dynastien, die aus dem Islam eine Monarchie machten." Mohammed als Propheten, nicht als politischem Führer, sollten Muslime folgen. Und: "Die Scharia kann abgeändert werden. Sie wurde von Menschen formuliert."
In Workshops wurden historische Persönlichkeiten der Theologie besprochen. Das Islam-Verständnis des 1988 in den USA verstorbenen Gelehrten Fazlur Rahman beeinflusste etwa in den sechziger Jahren die Politik Pakistans. Damals setzte die Regierung teilweise seine modernistische Form des Islams um, die eine Basisdemokratie vorsah, bei der 1000 Personen ihre Wahlmänner wählen. Wie lange schon die innerislamische Debatte über Säkularität vor sich geht, zeigte der "Fall" von Ali Hassan Ahmed Abdarraziq, der 1925 von der ägyptischen Al Azhar Universität entlassen wurde. Laut Abdarraziq gibt es keinen theologischen Beweis dafür, dass ein Kalifat der Wille Gottes ist. Das Hauptargument gegen Abdarraziq war damals: Die von ihm geforderte Säkularisierung führe zu einer Christianisierung des Islam.
Optimistisch sah Mona Siddiqui von der Universität von Glasgow das Leben der Muslime in Europa: "Der Glaube verändert sich, wenn wir Seite an Seite mit Menschen anderer Religionen leben. Dabei muss der Glaube nicht schwächer werden."