Syrien-Expertin Kristin Helberg über ein mögliches Post-Assad-System.
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Heftige Kämpfe um Damaskus, Tote in Homs, kurdische Milizen kämpfen in Aleppo gegen Rebellen der Freien Syrischen Armee. Die Lage in Syrien wird immer diffuser. Etwas mehr Klarheit in die verworrene Situation versucht nun die Journalistin Kristin Helberg mit ihrem Buch "Brennpunkt Syrien - Einblick in ein verschlossenes Land" zu bringen. Die 39-Jährige, die sieben Jahre lang in Syrien gelebt hat, kennt das Land vermutlich besser als jede jede andere deutschsprachige Journalistin. Dementsprechend gefragt waren ihre Einschätzungen und Analysen zuletzt in deutschen Medien.
"Wiener Zeitung":Sie waren lange Zeit die einzige westliche Korrespondentin, die offiziell eine Akkreditierung für Syrien bekam. Meinen Sie das, wenn sie im Buchtitel von einem verschlossenen Land sprechen?Kristin Helberg: Bis ich dorthin kam, gab es nur Korrespondenten der sozialistischen "Bruderländer", aber keine westlichen Kollegen. Der westlichste Kollege war ein Bulgare. Es herrschte großes Misstrauen gegenüber westlichen Staaten, da Syrien dort immer als Schurke dargestellt wurde. Nach dem Einmarsch in den Irak 2003 landete Syrien auf der Achse des Bösen von George W. Bush.
Bekommt also Bush Genugtuung durch die jetzigen Aufstände?
Am Anfang ging es ja gar nicht um den Sturz des Regimes und Bashar al-Assad hatte alle Chancen, das Blatt zu wenden. Die Leute standen gegen Korruption und Vetternwirtschaft auf, gegen die Willkür der Geheimdienste. In Deraa, wo alles begann, wollten die Demonstranten die Absetzung des Gouverneurs und die Freilassung der inhaftierten Schulkinder. Alle diese Forderungen wurden nicht gehört. Stattdessen hat Assad sich mit seiner Entourage dazu entschieden, den Aufstand militärisch niederzuschlagen. Was nicht geklappt hat.
Weil sich die Opposition bewaffnet hat?
Im Gegensatz zu Libyen, wo sich der Widerstand schnell bewaffnet hat, dauerte es in Syrien erstaunlich lange, bevor die Oppositionellen zur Waffe griffen. Und es gibt auch heute noch täglich friedliche Proteste. Die werden getragen von einem zivilen Widerstand, von einer erwachenden Zivilgesellschaft. Sie ist es auch, die mir Hoffnung macht. Junge Leute, die völlig unideologisch und unabhängig von irgendwelchen ethnischen oder konfessionellen Zugehörigkeiten zusammensitzen, Demonstrationen organisieren, sie filmen und über das Internet verbreiten. Diese Leute beweisen vor Ort, wie gut sie organisieren können. Sie kümmern sich um die Versorgung der Bevölkerung, die Behandlung von Verletzten. Da werden Lebensmittel und Medikamente geschmuggelt, Untergrundkliniken eingerichtet, Plakate gemalt, per Skype Interviews gegeben.
Und die Freie Syrische Armee, an der mittlerweile niemand mehr vorbei kommt?
Jetzt wird es kompliziert. Die Freie Syrische Armee besteht nicht nur aus Deserteuren, sondern inzwischen vor allem aus syrischen Freiwilligen. Das sind Landarbeiter, Studenten, Lehrer, Maurer, Ladenbesitzer, Arbeitslose - lauter Leute, die eigentlich kein Interesse am Kämpfen haben, sondern so schnell wie möglich in ihr normales Leben zurückkehren wollen. Viele von ihnen haben monatelang demonstriert, bis sie angesichts der massiven staatlichen Gewalt keinen anderen Weg mehr sahen, als sich zu bewaffnen. Neben den Syrern gibt es aber auch ausländische Kämpfer, die teilweise radikal islamisch auftreten und in Syrien eine internationale islamistische Agenda verfolgen. Sie beeinflussen den Aufstand zunehmend, was vielen Syrern selbst Angst macht, allen voran den Aktivisten, die unermüdlich gegen eine Konfessionalisierung des Konfliktes ankämpfen. Wir haben also alle möglichen Milizen, von denen wir nicht genau wissen, was sie wollen, welchem Herrn sie dienen und wer sie finanziert.
Mittlerweile haben unabhängige Beobachter von Amnesty International und Human Rights Watch grausame Menschenrechtsverletzungen auch seitens der bewaffneten Opposition ausgemacht. Sind aus den ehemals Guten nun die Bösen geworden?
Dass sich einzelne Rebellengruppen ähnlicher Methoden bedienen wie das Regime, ist nicht zu rechtfertigen und schadet dem Aufstand sehr. Die Freie Syrische Armee muss moralische Standards einhalten, schließlich kämpft sie für ein besseres System, in dem Folter und Mord keinen Platz haben sollen. Trotzdem ist die Gewalt der Opposition nicht mit der des Regimes zu vergleichen - das haben auch Human Rights Watch und Amnesty International klar gemacht. Die Gewalt des Assad-Regimes richtet sich systematisch gegen Zivilisten, während die Rebellen einen bewaffneten Gegner bekämpfen.
Wie lange wird sich Assad noch halten?
Das kann zum jetzigen Zeitpunkt keiner sagen. Viel hängt davon ab, ob sich nach der Opposition nun auch die internationale Gemeinschaft zusammenrauft und in Syrien an einem Strang zieht. Russland, China und der Iran müssen davon überzeugt werden, dass es eine Alternative zu Assad gibt, die das syrische Volk glaubhaft vertritt und die kein islamisches Kalifat bedeutet. Erst dann könnten diese bisherigen Verbündeten den Druck auf Assad so erhöhen, dass ihm kein anderer Ausweg als die Machtabgabe bleibt. Aber so weit sind wir noch nicht. Bis dahin muss in den "befreiten" Gebieten Nordsyriens ein Post-Assad-System entstehen, an dem alle Gesellschaftsgruppen, auch die Alawiten, Christen und Kurden, aktiv mitwirken und das deshalb beispielhaft ist für das ganze Land: mit einer geeinten politischen und militärischen Führung, einer effektiven Verwaltung, einer geordneten Gerichtsbarkeit und der nötigen humanitären Unterstützung von außen. Damit der Rest des Landes sieht: Nach Bashar al-Assad kommt nicht das Chaos, sondern etwas Besseres.
Zur Person
KristinHelberg
arbeitete nach Abschluss ihres Politikwissenschaftsstudiums einige Jahren beim NDR. Anschließend wanderte die heute 39-Jährige in den Nahen Osten aus und lebte von 2001 bis 2008 in Damaskus. Als Korrespondentin berichtete sie in dieser Zeit für die ARD. Seit 2009 pendelt sie zwischen Berlin und Syrien.