Einziger Christ in der Regierung wurde erschossen. | Bhatti war scharfer Kritiker des umstrittenen Blasphemie-Gesetzes. | Islamabad. Er war an diesem Morgen ohne seine Bodyguards unterwegs. "Ich kann den Sicherheitsmaßnahmen nicht vertrauen", hatte Pakistans Minister für religiöse Minderheiten, Shabhaz Bhatti, schon vor Wochen erklärt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der einzige Christ in der Regierung ahnte bereits, dass er der nächste Name auf der Todesliste sein werde. Am Mittwochmorgen erschossen ihn bewaffnete Männer kaltblütig auf offener Straße mitten in der Hauptstadt Islamabad. Etwa zwei Monate zuvor war nicht unweit von dem Tatort ein anderer liberaler Politiker ermordet worden: Salman Taseer, der einflussreiche Gouverneur der Punjab-Provinz, war von seinem eigenen Leibwächter niedergeschossen worden.
Taseer und Bhatti hatten sich beide vehement für die Abschaffung von Pakistans umstrittenen Blasphemie-Gesetz ausgesprochen, das für Gotteslästerung und Entweihung des Korans die Todesstrafe nach sich ziehen kann. Nach dem Mord an Taseer ahnte Bhatti sofort, dass er das nächste Opfer werden könnte: "Ich glaube, dass Schutz nur vom Himmel kommen kann, solche Bodyguards können dich nicht retten", sagte er. Der 42-jährige Katholik hatte sich von der Fatwa, einem religiösen Bannspruch gegen ihn, nicht von seiner kritischen Haltung abbringen lassen. Man müsse gegen Kräfte kämpfen, die das Land terrorisieren, erklärte er Mitte Jänner kämpferisch. In der Fatwa hatten islamische Geistliche dazu aufgerufen, den Politiker zu köpfen.
Taliban bekennen sich
Bhatti, ein Mitglied der Regierungspartei PPP, wurde am Mittwoch unweit seiner Wohnung erschossen. Drei Männer eröffneten das Feuer auf das Fahrzeug und töteten den Politiker. Am Tatort fand die Polizei Flugblätter der Taliban. Diese bekannten sich später zu dem Mord. Allerdings bleibt unklar, woher die Täter offenbar wussten, dass Bhatti ohne seine Sicherheitsleute unterwegs war.
In Pakistan häuften sich zuletzt Verurteilungen wegen Gotteslästerung. Im November 2010 war die Christin Asia Bibi wegen Blasphemie-Verdacht zum Tod am Galgen verurteilt worden. Bhatti hatte sich ebenso wie Taseer für eine Begnadigung der fünffachen Mutter eingesetzt. Nun sind beide Politiker tot.
Die Reaktion auf den Mord an Taseer war besorgniserregend. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße, um den Mörder zu feiern, mit Blumengirlanden zu behängen und gegen eine Revision des Gesetzes zu demonstrieren. Die Regierung gab daraufhin bekannt, es werde keine Änderungen geben. Menschenrechtsgruppen fordern schon lange eine Abschaffung des Gesetzes, weil es oft dazu genutzt wird, persönliche Streitigkeiten auszutragen. Meist reicht ein bloßer Verdacht der Gotteslästerung aus, um jemanden monatelang ins Gefängnis zu bringen.
Der Tod von Taseer und Bhatti ist nur ein Teil der beängstigenden Entwicklung in dem islamischen Land. Inzwischen müssen nicht nur religiöse Minderheiten und couragierte Politiker um ihr Leben bangen.
Nachdem Ende Februar ein US-Bürger in der Stadt Lahore zwei Pakistanis unter mysteriösen Umständen erschossen hatte, wird auch das Klima für Ausländer rauer. Der britische Journalist George Fulton, der politische Talkshows und Dokumentar-Serien im pakistanischen Fernsehen moderierte, hat nach neun Jahren das Land verlassen, weil er sich nicht mehr sicher fühlt. In einem berührenden Abschiedsbrief in der Zeitung "Express Tribune" schreibt er: "Pakistan, Du stehst am Abgrund. Eine hauchdünne Wand trennt Dich von einem gescheiterten Staat."