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Islamisten und Rechtsextreme vergiften die Gesellschaft

Von Jan Michael Marchart

Politik

Größte Gefahr geht von IS-Kämpfern aus - rechtsextreme Taten stiegen 2015 um 54 Prozent.


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Wien. Seit den islamistischen Anschlägen von Paris und Brüssel steht fest: Europa ist kein isolierter Raum der Freiheit mehr. Der Terror ist nicht länger ein Phänomen ferner Länder, das sonst nur über die Nachrichten in die europäischen Haushalte gelangt. Entsprechend ist auch die innere Sicherheit Österreichs bedroht, erklärt Peter Gridling, Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Mit der Flüchtlingsbewegung und der Polarisierung der öffentlichen Diskussion stieg zudem die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten stark an. Diese beiden Themen waren die inhaltlichen Schwerpunkte des Verfassungsschutzberichts des Innenministeriums für 2015, der am Montag präsentiert wurde.

Die größte Bedrohung für die innere Sicherheit sehen die Staatsschützer weiter im islamistischen Extremismus und Terrorismus. Mit Ende des vergangenen Jahres waren dem Verfassungsschutz 259 Personen bekannt, die aus Österreich nach Syrien oder in den Irak gereist sind oder dorthin reisen wollten, um sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen. 41 davon wurden an der Ausreise gehindert, 79 kehrten nach Österreich zurück, 43 wurden vermutlich im Krisengebiet getötet. Der Rest befindet sich aktuell im Dschihad. Mit dem neuen Staatsschutzgesetz, aufgrund dessen ab Juli potenzielle Terroristen in Absprache mit einem Rechtsschutzgremium aus dem Innenressort präventiv überwacht werden können, möchte das BVT dieser Gefährdung stärker entgegentreten.

Die Zahl der Anhänger des salafistischen Dschihadismus in Österreich ist nämlich nach wie vor im Steigen begriffen. Meist sind es Jugendliche oder junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren, die etwa über Predigten radikalisiert werden. EU-weit kommen die meisten IS-Kämpfer aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Belgien. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl, so zeigt der Bericht, nimmt Österreich in dieser Statistik hinter Belgien aber den zweiten Platz ein.

Gesellschaft driftet auseinander

Als Herausforderung des Staatsschutzes nannte Konrad Kogler, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, die "Migrationswelle, die im Vorjahr durch unser Land geschwappt ist". Wichtig sei die Integration der vielen jungen Männer, die neu ins Land gekommen sind. "Wenn das nicht gelingt, sind diese für die Anwerbung durch Extremisten besonders empfänglich", sagte Kogler.

Er begrüße auch die Bemühungen für die Grenzkontrollen Österreichs, um stets zu wissen, welche Personen ins Land kommen und vor allem wie viele. Laut Gridling gab es auch eine niedrige Zahl von IS-Verdächtigen unter den Flüchtlingen. Vier davon befinden sich seit Dezember 2015 in Salzburg in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Der Verfassungsschutz beobachtete im letzten Jahr außerdem ein zunehmendes Auseinanderdriften der Gesellschaft, angeheizt durch die Entwicklungen in der Flüchtlingskrise. Diese habe im Vorjahr "zu einer deutlichen Entfesselung von fremdenfeindlichen Aggressionen und Ressentiments geführt", heißt es in dem Bericht. "Das betrifft auch noch kaum bis schwach ideologisierte Personenkreise." Softgun-Attacken, KZ-Drohungen oder Schmieraktionen gegen Asylwerber und ihre Unterkünfte werden als Beispiele angeführt. Auch hätte die Hasskriminalität im Internet, vor allem in den sozialen Netzwerken wie Facebook, deutlich zugenommen.

Gridling spricht von einem "dramatischen Anstieg" der Tathandlungen mit rechtsextremistischem, fremdenfeindlichem sowie rassistischem oder antisemitischem Hintergrund. Diese gingen gegenüber 2014 um 54,1 Prozent von 750 auf 1156 nach oben. Die Aufklärungsquote stieg von 59,7 auf 65,1 Prozent. Einen "absoluten Höchststand" gab es bei den Anzeigen (siehe Grafik), die meisten davon nach dem NS-Verbotsgesetz und dem Strafgesetzbuch, etwa wegen Verhetzung und Sachbeschädigung. Unter den Tathandlungen wurden 45 Prozent als rechtsextremistisch, 28 Prozent als fremdenfeindlich/rassistisch, 3,6 Prozent als antisemitisch und 2,7 Prozent als islamophob klassifiziert. Die Meldungen bei der Internet-Meldestelle "NS-Wiederbetätigung" gingen um 17 Prozent auf 3913 nach oben. "Außerdem beobachten wir zunehmend Antisemitismus von Muslimen gegen Juden", sagte Gridling.

Identitäre Popkultur

Unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht speziell die Entwicklung der "Neuen Rechten", zum Beispiel die Identitären-Bewegung. Diese hatte zuletzt neben der stetig steigenden Anzahl an Demonstrationen hinsichtlich die Flüchtlingskrise mehrere öffentliche Aktionen gesetzt. Mitglieder der Identitären erklommen das Dach der Grazer Grünen und enthüllten ein Transparent mit der Aufschrift "Islamisierung tötet", auf dem Dach des Burgtheaters in Wien entrollten sie eine Banderole, auf der "Heuchler" geschrieben stand, während im Haus "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek aufgeführt wurde. Außerdem störten sie eine Theatervorstellung im Audimax der Universität Wien.

Wie groß diese Gruppierung der Identitären ist, kann Gridling nicht sagen, nur so viel: Die "Neue Rechte" versuche mittels Internetauftritten und aktionistischen Handlungen wie diesen, eine "Popkultur" mit rechtsextremen Inhalten für Jugendliche und junge Erwachsene zu entwickeln. Ihr Ziel sei es, fremdenfeindliche und generell Ängste generierende Themen in die Mitte der Gesellschaft zu bringen und den Rechtsstaat so weit wie möglich auszureizen. Für den Verfassungsschutz reichte es mit der bestehenden Gesetzeslage bisher immer nur zum Vorgehen gegen einzelne Sympathisanten, nicht aber gegen die Gruppierung selbst. Die Meinungsfreiheit gilt schließlich auch für sie. "Sie tun alles, um nicht mit Neonazis in einen Topf geworfen zu werden", sagte Gridling.

Beim Linksextremismus sanken die Tathandlungen von 371 auf 186, die Anzeigen von 545 auf 312. Kundgebungen und Protestaktionen führten laut Verfassungsschutz aber auch zu gewalttätigen Aktionen mit Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Die Aufklärungsquote lag bei 20 Prozent (2014: 25,3 Prozent). Laut Verfassungsschutz-Direktor Gridling ist diese so niedrig, da Linke verstärkt in Gruppen handeln und die Ermittlungen gegen einzelne Personen damit deutlich erschwert seien.