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Erneut erschüttern heftige Kämpfe Somalias Hauptstadt Mogadischu: Aufständische Islamisten griffen sowohl den Präsidentenpalast als auch die äthiopischen Truppen an, die gerade aus Somalia abziehen; es gab mehr als 20 Tote. | Die Äthiopier waren 2006 einmarschiert, um die "Union der Islamischen Gerichte" (UIG) zu vertreiben und eine Übergangsregierung zu installieren. Die Islamisten beherrschten damals Mogadischu und weite Landesteile. Äthiopien sah sich bedroht, da die UIG Ansprüche auf die mehrheitlich von Somaliern bewohnte äthiopische Region Ogaden erhob. Zudem hatte Addis Abbeba bei seinem Einmarsch den Segen der USA, die Verbindungen zwischen der UIG und Al Kaida sahen.
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Die Bilanz der Äthiopier ist verheerend: Die Islamisten kontrollieren wieder große Teile des Landes und liefern sich in Mogadischu einen Guerillakrieg mit den Regierungstruppen. Außerdem verhielten sich die äthiopischen Einheiten in ihrem Kampf gegen Aufständische rücksichtslos und setzten schwere Waffen in Wohngebieten ein. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" wirft sowohl den Äthiopiern als auch den Islamisten "zügellose Kriegsverbrechen" vor.
Der Aufstand gegen die Äthiopier trieb den Islamisten Kämpfer in die Arme, die Besatzungsmacht war unbeliebt und verhasst. Mit dem Abzug der Äthiopier kam Hoffnung auf, dass es zu einer breiten innersomalischen Einigung kommen könnte. Doch die Kämpfe in Mogadischu deuten in eine ganz andere Richtung: Die Islamisten scheinen die Regierung nun endgültig stürzen zu wollen, da diese mit den Äthiopiern ihre Schutzmacht verloren hat.
Die Fronten sind dabei aber nicht so klar, wie es auf den ersten Blick scheint. Als schlagkräftigste Gruppe unter den Islamisten gilt zwar die aus der UIG hervorgegangene Al-Shabaab-Miliz, die auch die radikalste Ideologie vertritt und auf der US-Terrorliste steht. Doch gibt es dem jüngsten Bericht des renommierten Think Tank "International Crisis Group" zufolge unter den aufständischen Islamisten mehrere heterogene Gruppierungen.
Zwischen diesen kommt es laut ICC zu immer mehr Spannungen, die bereits in erste militärische Auseinandersetzungen mündeten. Der Wegfall des gemeinsamen äthiopischen Gegners könnte diese Kämpfe weiter anheizen.
Ein Teil der Islamisten wechselte gar ins Regierungslager, doch steht deren Abkommen mit dem Kabinett auf sehr wackligen Beinen und könnte scheitern.
Zudem ist die Regierung, die ohnehin nur einen kleinen Teil des Landes kontrolliert, stark zerstritten. In ihr ist jede Menge Warlords vertreten, die sich jederzeit vom Kabinett lossagen und mit ihren Milizen verselbständigen könnten.
Somalia scheint also von einem Frieden weit entfernt. Ganz im Gegenteil: Der Konflikt droht noch unübersichtlicher und brutaler zu werden.
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