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Im Interview spricht Anas Schakfeh über die Lage der Muslime in Österreich. | "Wiener Zeitung": Sie stehen seit Ende der 90er Jahre der IGGiÖ vor. Was hat sich seither für die Muslime in Österreich verändert? | Anas Schakfeh: Das Attentat vom 11. September 2001 auf das World Trade Center, die Anschläge von London, Madrid, der Krieg gegen den Terror - das alles hat natürlich auch die Atmosphäre in Österreich beeinträchtigt. Früher war es entspannter zwischen den Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft.
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Nun wurden Muslime unter Generalverdacht gestellt, potenzielle Terroristen oder zumindest Fundamentalisten zu sein, nicht in die Gesellschaft zu passen, das österreichische Recht nicht zu akzeptieren und so weiter. Dagegen zu kämpfen war immer schwer, zumal die Medien keine große Hilfe waren. Allerdings hat die Politik damals gut reagiert - sowohl Bundespräsident Thomas Klestil als auch die Regierung unter Wolfgang Schüssel. Aber die Situation war nicht mehr wie früher.
Vor allem die FPÖ spielt bezüglich Islam mit Ängsten. Hat da die IGGiÖ genug getan in der Kommunikation?
Wir haben da nicht allzu viele Möglichkeiten. Wir haben keinen Fernesehsender und keine Tageszeitung. Über elektronische Medien und Veranstaltungen erreichen wir keine Millionen, sondern nur ein Publikum von Hunderten oder Tausenden. Aber wir tun, was wir können.
Zur FPÖ ist zu sagen, dass Heinz-Christian Strache als Oppositionspolitiker sehr provokativ spricht. Ob er das auch in der Regierung täte, weiß man nicht.
Bei den IGGiÖ-Wahlen, die am Sonntag in Wien ihren Abschluss finden, dürften die türkischstämmigen Muslime die deutliche Mehrheit in der IGGiÖ stellen. Wird die Islamische Glaubensgemeinschaft eine rein türkische Angelegenheit?
Nein, das glaube ich nicht. Unsere neue Verfassung sorgt vor, dass keine ethnische Gruppe mehr als 50 Prozent der Mandate in einem Organ der Gemeinschaft besetzen darf. Das ist nicht gegen die Türken, sondern für die kleineren Gruppen. Aber wir wollen eine Zukunft sehen, in der sich die Mehrheit der Muslime ohnehin als Österreicher versteht. Bis dahin verhindert diese Bestimmung, dass die türkische Community alles beherrscht.
Viele Türken sind im Verein Atib organisiert. Besteht nicht die Gefahr, dass der türkische Staat über Atib enormen Einfluss auf die IGGiÖ ausüben könnte?
Früher wurde kritisiert, dass Atib nicht dabei sei. Heute wird kritisiert, dass Atib dabei ist. Tatsächlich stellt Atib in sechs Bundesländern, die bisher gewählt haben, nur zwei Ausschussvorsitzende. Daher bin ich zuversichtlich, dass es keinen direkten Einfluss des türkischen Staates auf die Gemeinschaft geben wird.
Gewählt wird über Moscheevereine. Was sind die Kriterien, damit eine Moschee von der IGGiÖ anerkannt wird?
Da gibt es klare Kriterien. Kleinstmoscheen werden nicht anerkannt, erst ab 50 wahlberechtigten Mitgliedern. Bis jetzt haben sich rund 220 Moscheen und zehn Fachverbände registrieren lassen. Was übrig bleibt, sind wirklich Kleinst moscheen.

Aber besteht nicht gerade dort die Gefahr der Radikalisierung? Sollte man nicht gerade diese vermehrt einbinden, um sie zu kontrollieren?
Menschen, die sich konspirativ organisieren wollen, brauchen keine Moschee. Gerade die, die dazu tendieren, agieren nicht in der Öffentlichkeit. Daher sehe ich diese Gefahr nicht.
Aber vor wenigen Jahren haben Sie erklärt, dass es vier radikale Moscheen in Wien gibt . . .
Das war nicht ich, sondern Omar Al-Rawi (Integrationsbeauftragter der IGGiÖ, Anm.). Ich bin viel vorsichtiger in meiner Wortwahl. Es gab einige Moscheen, die früher von uns nicht anerkannt wurden, weil ihr Gedankengut nicht zu uns gepasst hat. Wir wollen, dass die Muslime sich in die Gesellschaft integrieren, das geltende österreichische Recht anerkennen und danach leben, aber unter Beibehaltung des Glaubens und der kulturellen Identität. Wer nicht dafür ist, passt nicht zu diesem Konzept. Die nennen wir dann Fundamentalisten und Radikale - davon gibt es Restgruppen, aber echte Terroristen haben wir bis jetzt in Österreich noch nicht gehabt.
Laut Schätzungen gibt es eine halbe Million Muslime in Österreich. Wieso hat sich davon nur ein Bruchteil registriert?
Wir haben die Marke von 120.000 überschritten und jeden Tag kommen neue dazu.
Aber die IGGiÖ nimmt doch für sich in Anspruch, für sämtliche Muslime in Österreich zu sprechen . . .
Wir sprechen nicht für die Muslime. Wir sind nicht ihre politische Vertretung, sondern die religiöse Verwaltung. Dass sich viele noch nicht registriert haben, liegt nicht daran, dass sie die Glaubensgemeinschaft ablehnen, sondern daran, dass sie schwer zu erreichen sind, wenn sie nicht in einem Verein organisiert sind. Andererseits liegt es an der Mentalität. Viele stammen aus Ländern, wo die Verwaltung der Religion eine Staatssache ist. Da muss man sich nicht extra registrieren. Die Menschen müssen sich daher erst an eine Organisation gewöhnen, die vom Staat unabhängig ist.
120.000 Personen sind registriert, wahlberechtigt ist aber nur etwa ein Viertel. Woher kommt diese Diskrepanz?
Vielen ist der Beitrag von 40 Euro zu hoch. Auch viele Moscheen und Vereinigungen haben gemeint, ihnen genügen zwei oder drei Delegierte, auch wenn sie 500 oder 600 Mitglieder haben. Auch diese wollen sich die Beiträge sparen, daher werden nicht alle Mitglieder als Wahlberechtigte registriert.
Eine Frage war auch immer die Stellung der Aleviten. Sie haben immer bestritten, dass Aleviten Muslime sind. Wie kommt es, dass sich nun auch Aleviten für die Wahl registrieren lassen? Das können höchstens Einzelpersonen sein. Es sind nur sunnitische oder schiitische Moscheen bei uns registriert, keine alevitische Gruppierung. Ich habe auch meine Meinung nicht geändert: Es gibt Muslime, Juden, Christen, Hindus, Atheisten, Agnostiker - und Aleviten. Ich anerkenne sie als Aleviten und als solche sollen sie alle Rechte haben. Aber wieso soll ich sie als Muslime akzeptieren, wo sie einen völlig anderen Glauben haben?
In der Türkei und unter türkischen Moslems gibt es aber die Tendenz, Aleviten wohl als Muslime zu sehen.
Das ist keine Tendenz, sondern das war immer die Politik des türkischen Staates. Aber die Aleviten kämpfen selbst dafür, als eigene Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden.
In Frankreich gibt es ein Burka-Verbot, in Österreich wird zum Teil über die Bauordnung der Bau von Minaretten verboten. Orten Sie eine wachsende Islamophobie?
Es ist auf jeden Fall eine Spielart von Islamophobie. Als Ende der 70er Jahre in Wien-Floridsdorf eine Moschee im orientalischen Stil errichtet wurde, hat niemand dagegen protestiert. Heute ist das ein Problem. Es gibt Islamophobie, erst recht seit dem 11. September. Das kann man nicht leugnen. Diese Mischung von Religion und Politik gefährdet die Religionsfreiheit. Daher ist die jetzige Situation nicht befriedigend. Aber ich hoffe, dass sich die Dinge beruhigen, wenn sich die Lage im Nahen und Mittleren Osten entspannt.
Sehen Sie dafür Anzeichen?
Ja, durch die Demokratiebewegung in manchen arabischen Ländern.
In Österreich gibt es jetzt einen Integrationsstaatssekretär. Was erwarten Sie sich von ihm?
Ich weiß nicht, ob ich von ihm persönlich etwas erwarten soll. Aber von einem Staatssekretariat für Integration erwarten wir eine Integrationspolitik, die sich loslöst von der Sicherheitsfrage. Migration soll weiter unter der Sicherheitsfrage stehen, aber sobald sich die Menschen hier niedergelassen haben, geht es nicht mehr um Sicherheit, sondern um Integration. Dafür braucht man andere Konzepte: Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnpolitik - ich weiß nicht, ob das Innenministerium das schafft.
Was sind Ihre Pläne für die Zeit nach Ihrer Präsidentschaft?
Ich werde als Privatmann mehr Freiheit haben, mich zu äußern. Als Präsident der Glaubensgemeinschaft schickt es sich nicht, über gewisse Dinge zu reden, etwa Ereignisse in Nahost. Ich mische mich nicht ein in interne Angelegenheiten ausländischer Staaten. Das ist ein Prinzip der Glaubensgemeinschaft. Da werde ich freier sein.
Was für Herausforderungen sehen Sie auf Ihren Nachfolger zukommen?
Dass er sich für das Zukunftsprojekt einsetzt, dass die Muslime in diesem Land wirklich integriert werden und dass sie das nicht nur vom Staat und der Gesellschaft fordern, sondern sich auch selbst aktiv dazu bekennen und mehr in diese Richtung tun.
Zur Person
Anas Schakfeh wurde 1943 in Hama (Syrien) geboren. Mit 21 Jahren kam er nach Wien, um Medizin und Arabistik zu studieren. Ab den 70er Jahren arbeitete er als Dolmetscher, Sprach- und Religionslehrer. Ab 1987 leitete er die Islamische Gemeinde Wien, Ende der 90er Jahre übernahm er zunächst in Vertretung des erkrankten Ahmad Abelrahimsai, ab 1999 als gewählter Präsident die Leitung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.
Siehe auch:Türkischer Einfluss in der IGGiÖ wächst
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