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Für seine Blockade bei der Besetzung von EU-Spitzenposten hat Großbritannien kaum Verbündete.
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Brüssel. Ein Wort zirkulierte in den europapolitischen Debatten der vergangenen Wochen auffallend oft: Hinterzimmer-Deal. Seine Deutung im Tauziehen um die Besetzung von Spitzenposten in der Union ist freilich unterschiedlich - abhängig davon, welcher Institution der Interpret näher steht. EU-Parlamentarier haben bereits in der Kampagne vor den EU-Wahlen das Ende der Vereinbarungen hinter geschlossenen Türen ausgerufen. Als künftiger Kommissionspräsident solle sich der Kandidat der stimmenstärksten Fraktion bewerben und nicht eine Person, die sich die Staats- und Regierungschefs untereinander ausmachen, postulierten die Abgeordneten. Doch für die britische Regierung würde gerade solch ein Vorgehen einen nicht annehmbaren Deal darstellen - mit dem Parlament nämlich.
Das machte Premier David Cameron einmal mehr vor seiner Zusammenkunft mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy klar. Der Belgier, dessen Amtszeit - wie die der Kommission - im Herbst ausläuft, hat den Auftrag, mit den Ländern sowie den Fraktionen in der EU-Volksvertretung Gespräche über das künftige Arbeitsprogramm der Union und deren Repräsentanten zu führen. Am Donnerstag und Freitag wird er dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs vorsitzen, die sich dann auf einen Kandidaten für die Leitung der Brüsseler Behörde einigen sollen.
Falls London das zulässt. Denn britische Regierungskreise nähren schon Spekulationen, dass Cameron versuchen wird, die Entscheidung zu verschieben. Das würde den Zeitplan gefährden, wonach das EU-Parlament Mitte Juli über den Kommissionspräsidenten abstimmen soll, der im Abgeordnetenhaus eine absolute Mehrheit gewinnen muss. Eine weitere Idee für den Gipfel bringt Großbritannien ebenfalls ins Spiel: eine Kampfabstimmung. Das wäre eine Premiere, weil die Vereinbarungen sonst im Konsens getroffen werden. Doch könnte Cameron das Votum zum einen aus innenpolitischen Gründen herbeiführen wollen, um den Briten sein Engagement zu beweisen. Zum anderen müssten sich die Länder klar positionieren - ob sie für oder gegen Jean-Claude Juncker sind.
Diesen Mann an der Spitze der Kommission will Cameron verhindern. Und auch andere Staaten wären mit der Kür des Luxemburger Christdemokraten nicht unbedingt glücklich, heißt es aus London. Finanzminister George Osborne beschuldigte sie daher der Doppelzüngigkeit: Politiker, die Juncker öffentlich unterstützen, würden sich privat negativ über dessen mögliche Wahl äußern.
Flexibles Sparen
Vordergründig jedoch kann der Ex-Premier und langjährige Vorsitzende der Eurogruppe mit einigem Rückhalt rechnen. Positive Signale kamen zuletzt aus Polen und Spanien. Aber auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach anfänglichem Zögern für Juncker Partei ergriffen. An dessen Seite stellten sich am Wochenende ebenfalls gleich mehrere Regierungschefs aus dem sozialdemokratischen Lager. Der Wahlsieger habe einen Anspruch auf den Spitzenposten, erklärte Frankreichs Staatspräsident François Hollande nach einem Treffen mit acht seiner Amtskollegen, darunter Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann. Eine Unterstützungserklärung kam ebenso von den Sozialdemokraten und Sozialisten (SPE) im EU-Parlament.
Im Gegenzug soll es aber andere EU-Spitzenämter geben. So wünscht sich die SPE, dass Martin Schulz weiterhin die Funktion des Parlamentspräsidenten ausübt. Italien soll auf einen gewichtigen Posten pochen: Das könnte jener der EU-Außenbeauftragten sein, den noch die Britin Catherine Ashton innehat. Schon wurde Außenministerin Federica Mogherini ins Gespräch gebracht.
Doch äußerten die Sozialdemokraten nicht nur personelle, sondern auch inhaltliche Wünsche. So sollten die Kriterien für Haushaltsdisziplin, die Juncker als Regierungschef mitgetragen hatte, flexibler ausgelegt werden. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt solle zwar nicht geändert werden, doch weniger starr umgesetzt werden müssen, indem etwa mehr Zeit für den Abbau des Budgetdefizits gewährt wird. Vor allem Frankreich und Italien fordern dies, um die lahmende Wirtschaft in Schwung zu bringen.
Allerdings hält die Europäische Volkspartei, die größte Fraktion im Abgeordnetenhaus, nur wenig davon. Eine Aufweichung der Stabilitätskriterien werde es mit seiner Gruppierung nicht geben, erklärte deren Vorsitzender Manfred Weber.