Jerusalem - Die Chancen, dass die von einem palästinensischen Selbstmordanschlag am Freitag überschattete Friedensinitiative von US-Außenminister Colin Powell doch noch zur Entspannung im Nahen Osten führt, wurden Sonntag von allen Beobachtern als äußerst gering eingeschätzt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die israelische Tageszeitung "Maariv" kommentierte am Sonntag: Powell versuche, "beiden Führern etwas zu verkaufen, an dem sie nicht interessiert sind". Powell, der nun "zwischen allen Stühlen" sitze, versuche "zu retten, was nicht mehr zu retten ist".
Die Ausgangslage für eine Entspannung im blutigen Konflikt konnte für Washingtons Chefdiplomaten nicht ungünstiger sein. Schon vor seiner Ankunft machte Ministerpräsident Ariel Sharon deutlich, dass sich Israel nicht - wie von Washington gewünscht - "unverzüglich" aus den besetzten Städten zurückziehen werde. Doch die Palästinenser machen nach wie vor Israels Rückzug zur unverzichtbaren Voraussetzung für eine Waffenruhe. Der Terroranschlag am Freitag komplizierte Powells Bemühungen weiter. Erst als Arafat unter Druck der USA sich zur Verurteilung des Blutbads aufraffte, konnte Powell seine Vermittlung überhaupt fortsetzen.
Was bisher aus Powells Gesprächen mit Sharon und Arafat bekannt wurde, weckt nicht gerade die Hoffnung auf wirkliche Fortschritte bei seinem Vermittlungsversuch. So lehnte Sharon den Einsatz einer internationalen Friedenstruppe zur Kontrolle einer Waffenruhe vehement ab. Wenn die USA dies erzwingen wollten, werde er, Sharon, Neuwahlen ausschreiben, soll er Powell gedroht haben. Aus Wahlen aber würde der rechtsgerichtete Ex-General deutlich gestärkt hervorgehen.
Falls Powells Mission jedoch komplett scheitere, sei eine weitere Eskalation der Lage fast schon unvermeidlich, warnen israelische Experten. "Washington muss dann bereit sein, eine Ausweitung der Armee-Operationen einschließlich Libanons zu akzeptieren", betonte der Politikwissenschaftler Gerald Steinberg, "und zwar nicht nur, um israelisches Leben zu schützen, sondern im Kampf gegen den unmenschlichen Terrorismus, den die Bush-Regierung ausmerzen will."