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Israel blickt besorgt nach Syrien

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

Fällt das Assad-Regime, bedeutet dies auch eine Schwächung des Iran.


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Tel Aviv. Shefa Abu Jabal lebt im Dorf Majdal Shams in den von Israel kontrollierten Golanhöhen, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt. "Wir können die Gefechte hier täglich hören. Gestern hat mich meine Mutter angerufen und gesagt, es ist, als ob sie unser eigenes Haus angreifen", sagt Shefa. Vor zwei Wochen habe die israelische Armee im Golan eine Übung abgehalten. Zur selben Zeit hätten die Syrer auf der anderen Seite ein Dorf nahe der Grenze angegriffen. "Wir konnten es sehen. Es war so nahe", sagt sie.

Wie rund 19.000 andere Bewohner der Golanhöhen im Norden Israels gehört auch Shefa zur Religionsgemeinschaft der Drusen, eine gnostische Sekte des Islam, der auch rund 500.000 Menschen in Syrien angehören. Die Einwohner von Majdal Shams trennt erst seit dem Sechstagekrieg im Jahr 1967 eine politische Grenze von Familie und Freunden auf der anderen Seite. Denn damals hat Israel die Golanhöhen im Krieg gegen Syrien eingenommen. Davor war das Dorf ein Teil von Syrien.

"Viele Drusen im Golan unterstützen weiterhin den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad", sagt Shefa. "Die Angst vor dem Wandel sitzt einfach zu tief. Die Drusen haben als kleine Minderheit Angst vor den Islamisten. Assad hat sie bislang gut behandelt und beschützt."

Doch Shefa Abu Jabal sagt, dass Assad fallen muss. Gemeinsam mit anderen Anti-Assad-Aktivisten hat sie letzten Freitag in Majdal Shams dafür demonstriert. Assad-Unterstützer aus dem Dorf haben sie dabei mit Eiern und Schuhen beworfen. Die Gesellschaft ist gespalten darüber, was aus Syrien werden soll.

Wahl zwischen zwei Übeln

Auch jenseits der Golanhöhen ist man sich in Israel nicht wirklich sicher, worauf man hoffen soll: auf den Fall von Assad und damit einen neuen, vielleicht unberechenbaren Nachbarn? Oder doch auf den Machterhalt des Regimes, auf Kosten von noch mehr Menschenleben? "Die Israelis haben sich an die stabile Grenze zu Syrien gewöhnt. Veränderung bedeutet für sie zurzeit vor allem Bedrohung", sagt Shefa.

Nur etwa drei Kilometer von Shefas Heimatort Majdal Shams entfernt stand letzten Donnerstag der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak - mit dem Hubschrauber aus Tel Aviv eingeflogen. "Was in Syrien passiert ist, wird den Fall von Assads Familie beschleunigen", sagte er zum Tod von führenden Mitgliedern des Regimes letzte Woche.

Soweit fällt es in Israel niemandem schwer, mit Schadenfreude auf den nahenden Fall der Assad-Dynastie zu blicken, war sie doch seit langem ein Erzfeind. Gemeinsam mit Ägypten und Jordanien stellte sich Syrien im Sechstagekrieg 1967 gegen Israel, und bald folgte mit dem Yom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 die nächste Konfrontation. Als Israel 1982 in den Libanon einmarschierte, leistete Syrien heftigen Widerstand. Seitdem griff Israel mehrere Male Ziele in Syrien an, darunter auch angebliche Atomanlagen. Auch im 34 Tage langen Libanonkrieg gegen die Hizbollah im Jahr 2006 drohte Syrien einzugreifen. Es ist eine Geschichte tiefer Feindschaft. Dennoch hält sich die Vorfreude auf Assads Fall in Israel zurzeit in Grenzen. Einen Vorteil hatte Assad aus israelischer Sicht: Stabilität und Berechenbarkeit. Die Furcht vor dem, was nach ihm kommt, ist groß.

"Wie Israel mit den Entwicklungen in Syrien umgehen soll, das ist eine Wahl zwischen zwei Übeln", sagt Ephraim Yaari, Leiter des Programms für Konfliktlösung und Mediation an der Universität Tel Aviv. Aus israelischer Perspektive war Syrien zwar immer ein ernstzunehmender Feind, jedoch ein nicht allzu schwieriger. "Die Grenzen waren jahrelang ruhig. Wir wussten, womit wir es zu tun haben", sagt er. Dennoch habe das Regime von Bashar al-Assad Israel auch einige Probleme bereitet. Nicht zuletzt, weil Syrien die Hizbollah im Libanon unterstützt hat und als Verbündeter des Iran gilt. "Israel ist heute von feindlichen Ländern umzingelt, die entweder von Saudi-Arabien, oder vom Iran unterstützt werden. Es ist eine gefährliche Nachbarschaft", warnt Yaari.

Doch die größte Sorge Israels bleiben Syriens Massenvernichtungswaffen. Hunderte Tonnen an Nervengas und Senfgas dürften in Syrien lagern und könnten jederzeit für den Kriegszweck eingesetzt werden. Dabei halten es manche Beobachter durchaus für möglich, dass chemische Waffen in die Hände der Hizbollah oder an andere militante Gruppen geraten könnten. Der Sprecher des syrischen Außenministeriums sagte am Montag, dass Chemiewaffen zwar nicht gegen die eigene Bevölkerung, aber gegen eine "Aggression von außen" eingesetzt werden könnten.

Gefahr für Israel

"Noch nie zuvor gab es ein Land im Bürgerkrieg, das derart große Vorkommen an nicht-konventionellen Waffen besitzt", sagt Charles Blair, ein führender US-Experte für Massenvernichtungswaffen und deren Kontrolle im Verband Amerikanischer Wissenschafter. "Ich erwarte eine Überraschung nach der anderen. Wie man mit dieser Gefahr umgehen soll, weiß kaum jemand."

Für Blair ist es durchaus denkbar, dass manche dieser chemischen Waffen in die Hände von nicht-staatlichen Akteuren fallen. Für diesen Fall sei Israel bereit, einen Angriff auf Waffenarsenale in Syrien zu fliegen, berichtete die "New York Times". Auch der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu sagte am Sonntag dem amerikanische Fernsehsender Fox, dass ein Angriff nicht ausgeschlossen sei. "Wir wollen sicher nicht, dass chemische Waffen in die Hände der Hizbollah oder anderer Gruppen fallen", so Netanyahu.

Doch Charles Blair glaubt nicht daran, dass die Hizbollah an den chemischen Waffen interessiert ist. Denn im Gegensatz zu kleinen militanten Gruppierungen ist sie fest in der libanesischen Politik verankert und will das auch weiterhin bleiben. "Die Hizbollah und die Hamas wollen regieren und Anerkennung haben. Der schnellste Weg, um weltweit auf Ablehnung zu stoßen, wäre, diese chemischen Waffen anzufassen", sagt Blair. Sollte das syrische Regime inklusive Militärapparat in sich zusammenbrechen, sei es sehr wahrscheinlich, dass Waffen abgezweigt werden. Ein solches Szenario wollen sowohl Assad selbst als auch Israel verhindern.

"Wäre ich Israel, ich würde alles versuchen, um Kontakt zu Assad aufzunehmen, um so die Sicherung dieser chemischen Waffen zu garantieren", sagte ein Nahost-Experte, der bei diesem heiklen Thema lieber anonym bleiben möchte. Er gab Hinweise darauf, dass es durchaus möglich ist, dass zwischen Israel und dem Regime in Syrien ein geheimer Kommunikationskanal existiert.

Die Gefahr ist jedenfalls groß: Mit relativ wenig Aufwand könnten Kurzstrecken Raketen chemische Waffen in Richtung Israel transportieren. "Das könnten auch syrische Militärs sein, die sich an Israel für den Sturz Assads rächen wollen, sollte dieser Fall eintreten", meint Charles Blair. "Allerdings ist es nicht ganz so simpel, eine Scud-Rakete abzufeuern. Aber es gibt dort genug die damit Erfahrung haben."

"Alles dreht sich um Iran"

Wenn in Israel über Syrien und die Hizbollah gesprochen wird, geht es unterm Strich letztlich um eines: den Iran. Das sagt zumindest Robert Blecher, Direktor des Projekts für Israel und den arabischen Raum bei der International Crisis Group (ICG), eine Organisation, die weltweit Konflikte analysiert. "Israel sieht all das aus einer breiteren strategischen Perspektive. Syrien und der Iran sind darin wichtig, aber eigentlich dreht sich alles um den Iran", sagt der US-Amerikaner.

Das Atomprogramm des Iran stellt aus israelischer Perspektive eine existenzielle Bedrohung dar, sofern es für militärische Zwecke genutzt wird. Wenn israelische Geheimdienstinformationen Israels Politik genügend Hinweise geben, dass der Iran kurz vor einem Durchbruch in der Urananreicherung steht, ist auch ein israelischer Militärschlag möglich. Doch außer Spekulationen ist dazu weiterhin kaum etwas sicher zu sagen. Doch zumindest eines scheint klar: Der arabische Frühling und der mögliche Fall Syriens haben die Position des Iran im Nahen Osten geschwächt. "Iran ist in Gefahr, Hauptverbündeten zu verlieren", titelte etwa die "International Herald Tribune" am Freitag.

Im Februar letzten Jahres hatte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad die Proteste in Ägypten noch als eine Bewegung gelobt, die einen neuen Nahen Osten ohne Einfluss der USA und Israels herbeiführen werde. Doch mittlerweile sieht es so aus, als ob der mögliche Fall des Assad-Regimes in Syrien nicht den USA und Israel, sondern dem Iran die Stellung als Regionalmacht und den wichtigsten Verbündeten nehmen könnte. "Mit der Zeit war der Iran immer weniger erfreut über die Umbrüche in der arabischen Welt", sagt Robert Blecher. "(Präsident Mohammed) Mursi in Ägypten will die Beziehungen zu Saudi Arabien aufbessern. Er ist vor allem über Ägyptens Wirtschaft besorgt. Deshalb braucht er die Saudis und die Golfstaaten."

Doch bei all den regionalen Veränderungen in der Nachbarschaft habe Israel in den letzten Monaten kaum über den Gartenzaun geblickt, sondern vor allem den Blick nach innen gerichtet, meint Direktor Blecher. Premierminister Benjamin Netanyahu sei so sehr mit den Problemen im eigenen Land beschäftigt, dass Israel in Reaktion auf die einschneidenden regionalen Veränderungen momentan vor allem eines tut: zuschauen, und erst einmal abwarten.

Kämpfe in Syrien - Seite 8