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Israel: Inkompetenz in der Führung?

Von Friedrich Korkisch

Analysen

Was schon in den ersten Tagen des Krieges gegen den Libanon offenkundig wurde, war die fehlende Entschlossenheit Israels. Mehrere Fragen stellen sich:


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Gab es am 12. Juli 2006 eine Strategie und daraus abgeleitete Operationspläne für die israelischen Streitkräfte? Warum hatte der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert jeden militärischen Schritt der Entscheidung seines Kabinetts unterworfen, führte daher das Militär im Sinne eines Mikro-Managements beziehungsweise nach "Befehlstaktik"? Warum gab es keine Mobilmachung, wenn die Bedrohung Israels angeblich so umfassend war?

Hatte die militärische Führung der Politik zu viel versprochen? War das Militär zur Durchführung der Operation am 12. Juli einsatzbereit? Wenn der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad erklärte, es wären 14.000 Raketen in der Hand der Hisbollah, und der militärische Nachrichtendienst Israels erklärte, man hätte alle Hisbollah-Stellungen aufgeklärt, wie konnte man übersehen, dass rund 40 Prozent der Stellungen unbesetzt, aber zahllose andere nicht enttarnt waren, wohin unbehelligt Raketen nachgeschoben wurden? Tausende 155-mm-Artilleriegranaten wurden so auf israelischer Seite vergeudet. Da den Luftstreitkräften schon nach einer Woche die bunkerbrechende Präzisionsmunition ausging, gab es von Anfang an ein Missverhältnis zwischen der Zahl der Ziele und der Munition.

Israel legte großes Gewicht auf Militärtechnologie und -doktrinen, aber es gab im Kampf gegen die Hisbollah keinen eindeutigen militärischen Schwerpunkt. Viel zu spät (am 4. August), erst nachdem man 3500 F-16-Kampfjet-Einsätze gegen Ziele geflogen und erst nachdem 1800 Raketen der Hisbollah Israel erreicht hatten, begann man die logistische Achse der Hisbollah von Syrien her zu unterbrechen. Es hat den Anschein, als hätte man in der israelischen Führung geglaubt, die Hisbollah mit Hi-tech ausschalten zu können - und erst als dies nicht funktionierte, eine Vernichtung der gesamten gegnerischen Strukturen ohne Bodentruppen (verlustminimierend) versucht.

Eine solche graduale Operation ist unsinnig, da sich der Gegner anpasst und Zeit hat, sich ein politisches "Hinterland" zu verschaffen (etwa die Arabische Liga; islamische Staaten; europäische Sympathisanten; Medien; Propaganda, die auf zivile Tote verwies; Behauptungen einer angeblichen Völkerrechtsverletzungen durch Israels etc.).

Die Armee war - die Elite-Verbände ausgenommen - ohne Mobilmachung (die überraschend viel Zeit erforderte) nicht einsatzbereit, konnte Mitte Juli nicht einmal eine Brigade in Bewegung setzen; die Infanterie, wie auch die Reservisten, waren schlecht ausgebildet und ungeübt. Hi-Tech-Qualität ist gut, bedarf aber auch der Quantität. Fehlt diese, reduziert sich die Wirkung ersterer gegen Null.

Streit zwischen Politik und Militär ist die Folge und Streit innerhalb des Militärs (auch ausgetragen über die Medien), bewies, dass Israel Führungsprobleme hat; dass das Militär verpolitisiert ist und fachlich Schwächen existierten, die man in Israel nicht vermutet hätte. Wenn Tel Aviv nun meint, Israel hätte auf Grund der "Wertehaltung" Probleme, einen Vernichtungskrieg zu führen, dann hatte man solche in früheren Kriegen nicht.

Die arabischen Staaten könnten nun - auf Grund der Erfahrungen des aktuellen Libanon-Konflikts - zu dem Schluss kommen, ein Krieg gegen Israel könne mit der iranischen Atombombe im Hintergrund durchaus gewonnen werden.