Zum Hauptinhalt springen

Israel ist am Zug

Von Alexander Decken

Gastkommentare

In Arabien ist eine neue Ära angebrochen, und Israel droht die völlige Isolation, wenn es den Anschluss an die Arabellion verliert. Das wäre aber fatal.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die politische Morgenröte im Nahen Osten bietet der Regierung in Tel Aviv die wohl historische Chance eines dauerhaften Friedens. Es klingt paradox, aber Israels Schwäche ist seine Stärke. Das erste Mal in der Geschichte des jüdischen Staates ist das Land gezwungen, den Verhandlungsweg zu gehen, nicht nur ein paar Meter, um der politischen Maskerade willen, sondern bis zum Ende. Das Zaudern der Regierung muss ein Ende haben, zumal der Flügelschlag der Falken in der Knesset unüberhörbar ist.

Die Aufstände in Arabien haben gezeigt: Der Gedanke der Freiheit lässt sich nicht mehr aus den Köpfen bomben. Israels strategische Sicherheitsallianzen an der arabischen Straße lösen sich in nichts auf, sie lassen sich nicht länger künstlich beatmen.

Der Friede ist im wahrsten Sinne des Wortes greifbar, aber er muss ausgehandelt werden, gleichberechtigt mit allen politischen Strömungen, die ans Tageslicht einer neuen Epoche in Nahost streben. Auf Waffen zu vertrauen, hieße apokalyptische Dimensionen als Faustpfand anzubieten. Das kann niemand wollen, weder in Nahost noch in befreundeten Staaten.

Hierbei kommt dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan eine herausragende Rolle zu. Er ist mit einem Glaubwürdigkeitsbonus ausgestattet, weil er bereits Tacheles mit den Despoten der Region geredet hat, als die freie Welt sich noch nicht entscheiden konnte, auf welches Pferd sie setzen sollte.

Außerdem vertritt Erdogan mit seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP so etwas wie ein politisches Modell für die Region. Die Türkei hat unter Erdogans Führung ökonomisch-strategische Allianzen in der Region geknüpft, nicht zuletzt aufgrund der ablehnenden Haltung Brüssels und Berlins gegenüber einer Vollmitgliedschaft der Türkei in Europa. Ankara kann in der Region viele Hintertüren öffnen - und diese sind derzeit wichtiger als die Hauptportale.

Dazu gehört auch, dass Erdogan den Funkenflug seiner farbenprächtigen Rhetorik unter Kontrolle hält. Sie darf nicht zu Lasten des israelisch-türkischen Verhältnisses gehen - auch wenn sich mit Äußerungen, wie jener, dass die Tötung türkischer Staatsbürger an Bord des Gaza-Hilfsschiffes "Mavi Marmara" eigentlich "ein Kriegsgrund" gewesen sei, Pluspunkte in Gaza und bei den Aufständischen sammeln lassen.

Die Ambitionen der Türkei in Nahost sind strategisch langfristiger Art. Die Vollmitgliedschaft in der EU, das war gestern. Aber ohne Israel geht im Nahen Osten nichts, das weiß auch Erdogan. Beide Länder sind stärker in ein gemeinsames verwobenes Interessengeflecht verwoben, als derzeit erkennbar ist. Eine florierende Ökonomie wirkt friedensstiftend, diese Erkenntnis ist nicht neu - weder in Tripolis noch in Kairo, Ankara oder Tel Aviv. Neu ist nur, dass sich den Menschen der Region erstmals diese Chance eines friedlichen Miteinanders bietet. Sie muss ergriffen werden, es gibt keine Alternative.

Alexander Decken ist außenpolitischer Redakteur in Bremen.