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Israel schießt sich ein Eigentor

Von Ulrich W. Sahm

Politik

Jerusalem · Als "schlimmste Ohrfeige", die dem Staat Israel in seinem 50jährigen Bestehen erteilt worden sei, wird in israelischen Diplomatenkreisen die jüngste Verbalnote der Europäischen | Union über den völkerrechtlichen Status von Jerusalem empfunden. Darin stellen die Europäer ausdrücklich fest, daß ganz Jerusalem "in strikter Auslegung des internationalen Rechts" als "Corpus | separatum" (Sondergebiet) zu betrachten ist und damit nicht zu Israel gehört.


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Es war Außenminister Ariel Sharon, der die EU-Reaktion mit einer Note an alle in Israel akkreditierten Botschafter provoziert hatte.

Vermutlich um ein paar Wahlkampfpunkte bei dem leidigen und emotional aufgeladenen Jerusalem-Thema zu erhalten, hatte er den ausländischen Diplomaten klargemacht, daß Treffen mit offiziellen

palästinensischen Vertretern außerhalb der "Gebiete unter palästinensischer Jurisdiktion" unzulässig seien. Nur in Gaza, Ramallah, Bethlehem oder Jericho dürften Diplomaten mit palästinensischen

Politikern sprechen.

Diese Vorgangsweise wurde zu einem kapitalen "Eigentor", weil sie eine Reaktion provozierte, die Israel absolut nicht will. Es gebe seit Jahrzehnten ein "Gentlemen's agreement" zwischen Israel und

den Europäern, die umstrittene Jerusalem-Frage tunlichst nicht an die große Glocke zu hängen, bemerkten Diplomaten. In der täglichen Praxis habe man einen "Modus vivendi" gefunden, allerdings unter

der Voraussetzung, daß keine Seite den "Finger in die offene Wunde" lege. Das habe Israels Außenminister jedoch getan und so die Europäer zu der unmißverständlichen Stellungnahme gezwungen.

Ein europäischer Diplomat versicherte: "Die EU betreibt keine Megaphonpolitik. Wir haben den Brief versiegelt abgegeben. Wenn die Israelis die Schreiben dann an die Presse weitergeben, ist das ihr

Problem." Die Zeitung "Haaretz" hatte in großer Aufmachung verkündet, daß Premierminister Benjamin Netanyahu "Jerusalem internationalisiert", eine Anspielung auf die Vorwürfe Netanyahus gegen

die Opposition, Jerusalem "teilen" zu wollen · in einen israelischen Westen und einen palästinensischen Osten.

Die israelische Regierung befürchtet, daß die EU-Note den Weg für die Anerkennung eines palästinensischen Staates ebnen könnte. Sharon forderte am Donnerstag von der Europäischen Union, daß sie die

Note "zurückzieht". Er meinte, daß Jerusalem "seit 3000 Jahren die Hauptstadt Israels" sei und es auch in Zukunft bleiben werde.

Nach dem Grundlagenvertrag von 1993 soll die Jerusalem-Frage im Rahmen der Verhandlungen über den definitiven Status der palästinensischen Gebiete geregelt werden. Israel hatte den arabischen Ostteil

Jerusalems 1967 annektiert, den die Palästinenser als Hauptstadt ihres Staates vorsehen.