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"Israel sucht taktischen Vorteil"

Von Alexander U. Mathé

Politik

Interview mit Moty Cristal, israelischer Analyst und Stratege von Nest Consulting.


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"Wiener Zeitung": Wie ist die Situation rund um die neueste Krise im Gaza-Streifen?

Moty Cristal: Israel versucht, in letzter Minute taktische Vorteile zu erlangen. Die Verhandlungen in Ägypten schreiten voran, sind aber sehr anspruchsvoll.

Wie anspruchsvoll?

Wir befinden uns in einer Verhandlungsposition, wie wir sie noch nie hatten: Früher gab es bilaterale Gespräche – etwa mit Ägypten, Syrien und so weiter –, dann gab es die Gespräche mit einer Organisation – der PLO. Bis dahin war alles recht einfach. Dann musste Israel auch mit den Gruppierungen verhandeln, die gegen PLO-Chef Jassir Arafat waren. 2006 nachdem die Hamas die Wahlen gewonnen hat, hat sie Israel weiterhin nur als Terrororgansiation und nicht als politische Gruppierung gesehen. Jetzt herrscht das Chaos: Wir haben Israel, das mit mehreren Organisationen aus dem Gaza-Streifen verhandelt,  von denen jede ihre eigene Agenda hat. Ägypten kann nicht mehr in gewohnter Weise vermitteln, weil es jetzt auch ein Militärregime mit eigenen Interessen hat, die Muslimbrüder als politische Partei und den Präsidenten, der ein Land führen muss, dass noch von den USA abhängig ist. Es sind also multidimensionale, chaotische Verhandlungen. Mit diesen neuen Gegebenheiten müssen alle Beteiligten erst lernen umzugehen, von der UNO über die USA, bis hin zur Türkei.

Wie sollte man da vorgehen?

Mit kleinen Schritten. Ein erster Schritt ist ein bedingungsloser Waffenstillstand. Schritt zwei eine Einigung auf kurze Zeit von etwa sechs Monaten. In dieser Zeit können die Beteiligten ihre eigenen Interessen bedienen, also Netanyahu auf seine politische Agenda bis zu den Wahlen fokussieren und die Hamas den Gazastreifen wieder aufbauen. Dann erst kann man den nächsten Schritt mit langfristigem Ausblick tätigen. Aber vorerst kann man nicht über große und umfassende Einigungen verhandeln. Man muss sich langsam bewegen, bedenkend, dass sich die Machtgefüge ändern.

Wie ist es um die Machtverhältnisse bei den Palästinensern bestellt?

Auf politischer Ebene können wir ein neues Phänomen beobachten, das Israel gut kennen sollte: "Je mehr Ihr uns schlagt, umso stärker werden wir." Was vor 3000 Jahren für die Juden in Ägypten galt, gilt nun für die Hamas. Die hat eine Machtposition innerhalb der Arabischen Welt, die sie sich nie hätte träumen lassen. Und das dank der militärischen Interventionen von (Israels Premierminister, Anm.) Benjamin Netanyahu. (Fatah-Chef und Palästinenserpräsident, Anm.) Mahmoud Abbas wiederum ist dadurch zu einem unbedeutenden Akteur geworden. Um seine Position zu stärken, wird er eine politische Kampagne gegen Israel starten.

Welche Optionen hat Israel?

Der einzige Ausweg für Israel ist es, die militärische Bedrohung während der Verhandlungen beizubehalten und sich mit wem auch immer zusammenzusetzen, der in der Lage ist, ein Anführer zu sein und nach dem Verhandlungsergebnis zu regieren. Das könnte Abbas sein – was ich persönlich nicht glaube –, das könnte die Hamas sein – was ich auch nicht glaube. Vielleicht könnte es mit einer gemeinsamen Regierung der beiden klappen, vielleicht mit einer Delegation der Arabischen Liga, mit dem neuen Ägypten, der Hamas und Katar.

Glauben Sie wirklich, dass man die Hamas und Abbas zusammenbringen kann?

Die haben keine große Wahl. Keiner von beiden kann das palästinensische Volk allein repräsentieren. Israel hat ein Interesse an Stabilität, nicht an Frieden – von dem spricht keiner. Und dafür braucht es eine gemeinsame Repräsentanz von der islamistischen Hamas und der nationalistischen Fatah.

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--><p class="MsoNormal">Moty Cristal, ist Experte für Verhandlungsführung und
Konfliktbewältigung. Er ist Gründer und Geschäftsführer von "Nest Consulting",
einer Firma, die Unternehmen in Sachen Krisenmanagement und komplexen
Verhandlungen berät und trainiert. Zwischen 1994 und 2001 war er Teil mehrerer
Teams, die intensive Verhandlungen mit Jordanien und Palästinensern führten. Er
ist Professor an der Moskauer Wirtschaftshochschule Skolkovo.