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Israel hat seine Militäroffensive im Norden des Gazastreifens am Freitag massiv ausgeweitet. Dutzende zusätzliche Panzer wurden losgeschickt. 90 von ihnen durchkämmten gestern | allein das Flüchtlingslager Jabalya im Norden von Gaza-Stadt.
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Dort hatte Israel am Vortag bereits über 30 Palästinenser getötet, unter den Opfern waren viele Kinder und mehr als 130 Palästinenser verletzt, davon einige lebensgefährlich. Es ist der erste Einmarsch der Besatzungsarmee in das völlig überbevölkerte Flüchtlingscamp seit zwei Jahren.
Auch in die noch weiter nördlich gelegenen Ortschaften Beit Hanoun und Beit Lahiya rückten Panzereinheiten vor. An der Grenze zu Israel entstand so ein neun Kilometer breiter Korridor - so weit reichen auch die Qassam-Raketen der Hamas, die am Dienstag auf die israelische Stadt Sderot abgefeuert worden waren und zwei Kleinkinder getötet hatten. Dies war der Auslöser für Israels Gaza-Offensive.
Nach israelischen Regierungsangaben ist eine längere Militärpräsenz in dem besetzten Gebiet vorgesehen, mit dem Ziel, den dort operierenden radikalen Palästinensergruppen den Garaus zu machen. Palästinenser erschossen als Antwort eine jüdische Siedlerin und zwei israelische Soldaten.
Israel geht bei seiner Vergeltungsaktion alles andere als zimperlich vor. Am Donnerstag hatte ein Soldat in dem 106.000 Einwohner umfassenden Flüchtlingslager Panzergranaten in die Menge abgefeuert, dutzende Häuser und sogar eine Schule wurden zerstört. Es war einer der bisher blutigsten Tage seit Beginn der Intifada vor vier Jahren.
Am Freitag wurden in Jabalya erneut sechs Palästinenser getötet, drei von ihnen durch einen israelischen Luftangriff. Bei den Opfern soll es sich nach israelischen Angaben um Hamas-Aktivisten handeln, die geplant hätten, neuerlich Qassam-Raketen auf Israel abzufeuern. Drei weitere Palästinenser wurden von Panzern aus erschossen. Um den über dem Lager von Jabalya kreisenden israelischen Drohnen die Sicht zu nehmen, begannen die Bewohner am Freitag, Autoreifen zu verbrennen. Über dem Camp lag eine dichte Rauchwolke.
Die palästinensische Regierung verlangte ein Krisentreffen des UNO-Sicherheitsrates und sprach von einem "barbarischen Massaker" Israels im Gazastreifen.
Regierungsdifferenzen
Innerhalb der israelischen Regierung entbrannte indes ein Streit über den Umfang der Militäroperation. Einige ultrarechte Minister verlangten eine weitaus größere Offensive, diese wurde aber von der liberalen Shinui-Partei abgelehnt. Ihr Vorsitzender, Justice Yosef Lapid, meinte, Israel würde sich ohnehin im nächsten Jahr aus dem Gazastreifen zurückziehen, eine weitläufigere Operation - etwa die Reokkupierung des gesamten Streifens - würde nichts bringen, außer dass Israel international neuerlich an den Pranger gestellt würde.
Ähnlich argumentierte der Analytiker und ehemalige Militärplaner Shlomo Brom. Mit einer längerfristigen Wiederbesetzung des gesamten Gazastreifens könnte Israels zwar vorübergehend die palästinensischen Raketenangriffe stoppen, "die Frage ist der Preis, den Israel dafür zahlen würde". Eine solche Operation sei nämlich ohne massive Opfer in der Zivilbevölkerung undurchführbar.
Ministerpräsident Ariel Sharon ist dennoch ent-
schlossen, Härte zu zeigen.
Er will vermeiden, dass die
für Sommer kommenden Jahres geplante Umsetzung seines Gaza-Abzugsplans, der in radikalen israelischen Kreisen ohnehin äußerst umstritten ist, von den militanten Palästinensergruppen wie Hamas oder Al-Aksa-Brigaden als Sieg über Israels Armee propagandistisch ausgeschlachtet wird.
Sharon ist überzeugt davon, dass die Hamas mit den jüngsten Qassam-Attacken genau darauf abzielt. Und dem will er um jeden Preis entgegengetreten. n