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Israel war reif für die jetzige Regierung

Von Fritz Weber

Gastkommentare
Fritz Weber ist freier Publizist und Autor der aktuellen Studie "Israel in Geiselhaft der religiösen Zionisten. Antworten auf den Suprematismus des Neozionisten Bezalel Smotrich" (Februar 2023).
© privat

Die Gesellschaft befindet sich in Geiselhaft des "religiösen Zionismus".


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Seit geraumer Zeit schon kämpfen in Israel - vereinfacht gesagt - zwei entgegengesetzte Richtungen um die Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Der eine Flügel vertritt die Staatsform einer pluralistisch-liberalen Demokratie uneingeschränkt gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger. Er fordert die vollständige Gewaltenteilung und die strikte Trennung von Religion und Staat. Die israelische Militärherrschaft über Palästina lehnt er ab.

Der andere Flügel betreibt den Abbau des bisher existierenden, jüdisch und demokratisch definierten Staates zugunsten eines rein jüdisch-fundamentalistischen Rabbinerstaates bis zur Umwandlung in eine halachische Monarchie mit uneingeschränkter jüdisch-ethnischer Herrschaft zwischen Mittelmeer und Jordan. Er bezichtigt den anderen Flügel der "Israel-Feindschaft".

Kritische Beobachter der Entwicklung im Staate Israel waren sich seit langem bewusst, dass sich hier ein Prozess anbahnte, der zu einem Zusammenprall der Kräfte führen würde. Dabei wurde deutlich, dass es sich um einen zunehmend asymmetrischen Kulturkampf handelt, nachdem der religiöse Rechtsextremismus längst die Vorherrschaft errungen hat und nicht erst in jüngster Zeit in der hohen Politik des jüdischen Staates angekommen ist.

Antisäkularer Kulturkampf

Die Entwicklung hat sich spätestens seit Ende der 1990er Jahre abgezeichnet und während der Regierungsjahre von Benjamin Netanjahu unaufhaltsam verstärkt. Unübersehbar wurde dies in den Jahren ab 2013 und besonders seit Ende 2015. Liberal-demokratisch gesinnte Israelis aus Bereichen wie Justiz, Soziologie und unabhängigem Journalismus wurden daher seit Jahren nicht müde, vor diesem antisäkularen Transformationsprozess zu warnen, der von religiösen Ultranationalistinnen und Ultranationalisten zunehmend offen, arrogant und machtbewusst vorangetrieben wird.

Dementsprechend wenig hoffnungsvoll hatte der Ari-Rath-Ehrenpreisträger, Journalist und Buchautor Gideon Levy die Situation bereits Ende 2015 analysiert: "Der religiöse Ultranationalismus, der sich hinter dem abgenutzten Namen ‚religiöser Zionismus‘ verbirgt, hat gewonnen, und zwar im großen Stil", schrieb Levy. Damals waren gerade der neue Polizeipräsident und der Chef des Mossad ernannt worden, und die Ernennung des Generalstaatsanwalts wurde erwartet. Sie alle gehörten zum selben Lager und waren im Begriff, weitere Vorposten der entscheidenden Macht zu erobern. Damit war die gesamte Führungsspitze des Rechtssystems und ein Teil des Verteidigungsapparats in ihren Händen, auch der Staatsanwalt und der Bezirksstaatsanwalt von Tel Aviv. Der Einzug in die Medien war bereits vollzogen.

Einschränkung der Justiz

Nach der Parlamentswahl 2015 wurde Ajelet Schaked Justizministerin im Kabinett von Netanjahu. Nach ihrer Ernennung machte sie deutlich, dass die Einschränkung der Macht der Justiz eine vorrangige Aufgabe sei. Noch im Dezember 2015 brachte sie eine Gesetzesvorlage ein, die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verpflichten würde, eine Finanzierung aus dem Ausland offenzulegen. Sie beschuldigte NGOs vor der Knesset, dass sie "die Autorität der vom Volk gewählten Regierung in Frage stellen" und "die Souveränität und den Charakter des Staates Israel untergraben" würden. Opposition und linke NGOs kritisierten das Vorhaben scharf. Das Gesetz wurde am 12. Juli 2016 im Parlament gebilligt.

Als 2017 gegen Premier Netanjahu Ermittlungen in zwei strafrechtlichen Fällen aufgenommen wurden, schrieb der Holocaust-Historiker Daniel Blatman, Professor am Institut für zeitgenössisches Judentum an der Hebräischen Universität, dass die Justiz letztlich zerstört werde, um Netanjahu zu helfen, an der Macht zu bleiben. Der Artikel wirkt, als wäre er heute geschrieben worden. Korrupte Politiker und verurteilte Kriminelle wissen, dass sie nicht im Amt bleiben können, wenn sie die Unabhängigkeit der Justiz nicht beseitigen. Ihnen kann die Amtsausübung vom Obersten Gericht untersagt werden - so geschehen im Jänner im Fall des zweifach in Strafsachen verurteilten Ministers Arje Deri, des Vorsitzenden der ultraorthodoxen Shas-Partei. Oder sie landen im Gefängnis, was Netanjahus große Angst ist. Dementsprechend ist es ihr Ziel, das Justizsystem abzuschaffen und so ihre Herrschaft und ihre politische Macht zu sichern.

Jüdischer Suprematismus

Die israelische Gesellschaft hat einen Prozess der Radikalisierung durchlaufen. Es gibt eine große Masse, die die demokratischen und liberalen Werte nicht heiligt. Die Radikalisierung kann auf alle möglichen Arten erklärt werden - die Stärkung der Religion durch die rasch wachsende Zahl von Absolventen orthodox-rechtsextremer Jeschiwas (Talmud-Hochschulen) und die gezielte Dämonisierung des "arabischen Feindes". Die israelische Gesellschaft war für die jetzige Regierung reif, nicht wegen des Sieges des Likud, sondern weil der extremste Flügel alle hinter sich hergezogen hat. Was einst rechtsextrem war, ist heute Mitte. Ideen, die einst an den Rändern standen, sind legitim geworden.

Als Historiker, dessen Fachgebiet der Holocaust und der Nationalsozialismus ist, fällt es Professor Blatman schwer, das zu sagen: "Aber es gibt heute Neonazi-Minister in der Regierung. Das gibt es nirgendwo sonst - nicht in Ungarn, nicht in Polen - Minister, die ideologisch gesehen reine Rassisten sind." Die israelische Soziologin und Buchautorin Eva Illouz, Professorin an der Hebräischen Universität in Jerusalem, wurde vom "Spiegel" (Nr. 7/2023) gefragt, was denn die Fundamentalisten der extremen religiösen Rechten wollen, die jetzt in Israel am Ruder sind und Schlüsselpositionen der Regierung besetzen. Ihre Antwort: "Den endgültigen Sieg in diesem Konflikt, ein für alle Mal." Sie würden den "regime change" anstreben, die humanistischen Grundwerte attackieren, das Völkerrecht verachten und die Gewaltenteilung aushebeln wollen. Das illiberale Ungarn sei nichts im Vergleich zu dem, was jetzt in Israel passiere. Arabische Israelis seien für sie keine gleichwertigen Mitbürger. Wolle man verstehen, wie sie ticken, solle man sich den Ku-Klux-Klan anschauen, so Illouz. "Gewalt ist für sie ein legitimes Mittel, die religiöse und ethnische Überlegenheit der Juden durchzusetzen."

Quo vadis, Israel?

Es ist nicht davon auszugehen, dass Demonstrationen von 100.000 oder 200.000 Menschen helfen werden. Wenn sich jetzt nicht zwei Millionen Israelis erheben und für die Demokratie, für den Liberalismus kämpfen, dann muss die Schlussfolgerung lauten, dass die Gesellschaft im Land akzeptiert, was vor sich geht. Palästina - das Westjordanland - ist seit seiner Eroberung 1967 in israelischer Geiselhaft. Mittlerweile befindet sich die säkulare israelische Gesellschaft selbst in Geiselhaft des "religiösen Zionismus". Illouz könnte recht haben, wenn sie fordert, wer ein Freund des jüdischen Staates sei, müsse nun die Stimme erheben.