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Israel, Wirtschaft der Waffen

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

Armee ist Teil des Bildungsapparats und mit Gesellschaft eng verzahnt.


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Tel Aviv. Hinter der Wand einer Holzhütte in einem israelischen Schießplatz taucht plötzlich eine Stofftierkatze auf. Wie eine echte Katze hüpft sie vor und wieder zurück in Deckung. Unter dem Plüsch verborgen: das israelische Maschinengewehr "Cornershot". Ein Gewehr, mit dem man ums Eck schießen kann. "Diese Katze gibt uns die Sekunde Ablenkung, die wir im Gefecht brauchen", sagt der Händler. Die Idee sei beim Einkaufen von Spielzeug für die Kinder aufgekommen.

So beginnt ein neuer israelischer Dokumentarfilm mit dem Titel "The Lab" - das Labor. Der Waffenhändler am Schießplatz ist Amos Golan, Erfinder und Vertreiber der "Cornershot" und ein ehemaliger israelischer Kommandant, der wie viele andere hochrangige Armeeangehörige nach der Entlassung in die Waffenindustrie einstieg. "Ich habe den Film gedreht, weil er die materielle Basis der israelischen Wirtschaft erklärt", sagt der Regisseur und Journalist Yotam Feldman. Israels Sicherheitslage ist freilich schwierig. Aber man macht mit ihr auch Geld.

Im Jahr 2012 hat Israel Waffen im Wert von sieben Milliarden US-Dollar exportiert, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten davon in die USA, sowie nach Europa, Südostasien und Südamerika. Besonders im Trend liegen in diesem Jahr Aserbaidschan, Polen, Vietnam und Brasilien. Etwa arbeitet die Polizei von Rio de Janeiro in ihren sogenannten "Befriedungsaktionen" von städtischen Slums schon länger mit israelischem Equipment. Im Export von unbemannten Flugzeugen steht Israel an der Weltspitze. In acht Jahren verdiente der Staat rund 4,6 Milliarden US-Dollar durch den Verkauf der Drohnen. Zwischen 2001 und 2011 kamen 41 Prozent der weltweit exportierten Drohnen aus Israel.

Krieg und Profit

Israels Waffenexportorte sind augenscheinlich wettbewerbsfähig. "Der Vorteil gegenüber größeren Exporteuren ist, dass Israel seine Waffen ständig testet", sagt Yotam Feldman, der Regisseur von "The Lab". Und "testen" heißt hier nicht etwa Übung im Trainingsgebiet, sondern militärische Operationen und die militärische Besatzung des Westjordanlandes. Besatzung und Krieg erhöhen Marktwert und Nachfrage. "Nach den letzten Operationen im Gazastreifen haben sich die dort eingesetzten Waffen blendend verkauft", sagt Feldman, so auch bei der Gaza-Operation davor, genannt "Gegossenes Blei", bei der im Winter 2008/2009 mindestens 1200 Palästinenser und 13 Israelis getötet wurden.

Für den deutschen Friedens- und Konfliktforscher Peter Lock ist Israel ein militärstrategisches Musterland für die territoriale Kontrolle einer anderen Bevölkerung geworden. Der große Wettbewerbsvorteil Israels sei die "anwendungserprobte Technologie". Der Verkaufsschlager unbemannte Drohne sei ein gutes Beispiel dafür. "Israel hat Drohnen entwickelt, um im Umland Bedrohungen zu beobachten und sie im Keim zu ersticken." Der Treibstoff hinter der Waffenindustrie liege woanders: Israel verstehe es Entwicklungen der zivilen Technologiemärkte zu nutzen und diese "dem militärischen Gerät einzuverleiben", so Lock. Zunehmende Privatisierung der Waffenindustrie, hohe Vorkommen an Risikokapital und eine boomende Hightech-Industrie bringen die nötige Dynamik dahinter. Wegen der Verzahnung der Waffenindustrie mit anderen Sektoren ist es schwierig abzuschätzen, wie sehr die israelische Wirtschaft von der Waffenproduktion abhängt.

Militante Philosophen

"Wenn Israel in einer anderen Lage wäre, hätte es vielleicht Geld mit anderen Dingen als Waffen gemacht", meint Yotam Feldman. "Aber die israelische Wirtschaft ist dennoch schwer von der Waffenindustrie abhängig ist. Sie macht 20 Prozent der Exporte aus. 150.000 Familien hängen an ihrem Nabel", sagt er. Auch die israelische Gesellschaft ist stark militarisiert. Die meisten Männer müssen hier für drei Jahre zur Armee und Frauen für zwei Jahre. Öffentliche Verkehrsmittel und Restaurants sind oft voll mit uniformierten Soldaten und der Militärdienst ist der zentrale Initiationsritus ins erwachsene Leben. Die Armee ist damit auch Teil des Bildungsapparates.

So sind auch Israels Universitäten eng mit dem Militärapparat verknüpft. Dort findet man "Militärprofessoren" wie Yitzhak Ben-Israel. Und er glaubt nicht, dass die israelische Waffenindustrie eine wichtige Rolle für Israels Wirtschaft spielt. "Waffen werden für unsere eigene Armee entworfen. Exporte sind nur das Nebenprodukt", sagt er. "Höchstens 50.000 Leute arbeiten in der Waffenindustrie." Will man den Geist hinter der Waffenindustrie in Israel verstehen, braucht man nur einen Blick in seine Biografie werfen: Studium der Mathematik, Physik und Philosophie; Generalmajor der Armee, Chef der Forschungsabteilung der Luftwaffe, Chefentwickler im israelischen Militär und im Verteidigungsministerium, sowie Parlamentsabgeordneter. Heute ist Ben-Israel Professor an der Universität Tel Aviv, ein sogenannter "Militärphilosoph".

"Militärphilosophen schaffen die Prinzipien hinter dem Militär. Was muss getan werden, was nicht, wo wollen wir hin", sagt er. Teil der von ihm entworfenen Prinzipien sind auch mathematische Formeln. Eine bestimmt etwa, bei wie vielen Toten der feindlichen Truppen das gesamte feindliche System kollabiert. Tötet man 50 Prozent der Gegner, stehe die Chance bei 100 Prozent.