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Israels dritte Intifada

Von Ines Scholz

Politik

Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen nach Anschlägen und Protesten.


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Tel Aviv/Ramallah. Eine neue Welle von Anschlägen, tagtägliche Zusammenstöße mit Israels Besatzungsmacht, Steine werfende Jugendliche, Provokationen von Politikern, gezielte Häuserzerstörungen und immer mehr Tote auf beiden Seiten: Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eskaliert.

Die Atmosphäre erinnert viele an das Jahr 2000, als der letzte Palästinenseraufstand begann. Damals wie heute waren einige Monate zuvor Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern gescheitert, hatte Israel seine Siedlungspolitik ohne Rücksicht auf Verluste vorangetrieben. Und im Zentrum der Spannungen stand ebenfalls der Tempelberg in Ostjerusalem. Ein Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon, bei der heiligen Stätte, der von Palästinensern als Affront empfunden wurde, hatte die zweite Intifada ausgelöst. Auf dem Gelände stehen Al-Aksa-Moschee und Felsendom.

Tempelberg-Allüren

Und auch diesmal waren es ultrarechte israelische Politiker, die den Streit um die heiligen Stätten provoziert hatten. Uri Ariel, Minister für Bau- und Wohnungswesen im Kabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, und Vize-Parlamentspräsident Moshe Feiglin riefen Juden auf, mehr Präsenz um das Heiligtum der Muslims zu zeigen - orthodoxe Juden sollten künftig dort, und nicht nur an der Klagemauer, ihre Gebete verrichten. Jüdische Nationalisten forderten gar eine Annexion des bisher von Jordanien beaufsichtigten Tempelbergs, dem einst die zerstörten jüdischen Tempel standen.

Für die Palästinenser kam das einer Kriegserklärung gleich. Nach einem Erlass der Rabbiner ist es Juden verboten, den Tempelberg zu betreten. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas bekräftigte anlässlich des zehnten Todestages seines Vorgängers Yasser Arafat am Dienstag den Anspruch seines Volkes auf das 1967 von Israel besetzte Ostjerusalem als Hauptstadt des künftigen Palästinenserstaates. Man werde Israels Anspruch auf die Stadt "niemals akzeptieren". "Haltet uns die Extremisten von der Al-Aksa-Moschee und unseren heiligen Stättenvom Leib und wir werden uns ihnen nicht nähern."

Schon in den vergangenen Jahren hatte die wachsende Präsenz jüdischer Besucher auf dem arabisch "Al-Haram al-Sharif" genannten Ort immer wieder für Spannungen gesorgt. Jugendliche Palästinenser warfen mit Steinen auf die ungeladenen Gäste. Israelische Sicherheitskräfte lieferten sich ihrerseits fast täglich Straßenschlachten mit den Palästinensern. Ende Oktober wurde der radikale Tempelberg-Aktivist Yehuda Glick von einem jungen Muslim niedergeschossen.

Doch es blieb nicht bei einer Einzeltat. Palästinenser griffen zuletzt wieder auf die Taktik der Attentate zurück - nur die Methode hat sich geändert: Waren es früher vor allem Sprengstoff-Selbstmordanschläge, greifen radikale Palästinenser heute vermehrt zu Messern oder rasen mit ihren Autos in Menschenmengen.

Allein in den vergangenen drei Wochen hat es fünf Anschläge gegeben. Mehrere Personen starben, darunter ein israelischer Soldat, eine jüdische Siedlerin und ein kleines Kind. Die meisten Attentäter wurden erschossen, mehrere Palästinenser wurden zudem bei Anti-Israel-Demonstrationen durch Schüsse der Sicherheitskräfte getötet. Die Gewalt griff inzwischen vom besetzten Ostjerusalem auf Tel Aviv und das Westjordanland über. In Hebron erschoss ein Soldat am Dienstag nahe einem palästinensischen Flüchtlingslager einen 22-jährigen Palästinenser, als dieser während eines Massenprotestes Steineauf die Sicherheitskräfte warf.

Alarmstimmung

Über Israel schwebt die dritte Intifada: Netanyahu rief angesichts der Eskalation der Lagefür Dienstagabend das Sicherheitskabinett zusammen. In allen größeren Städten wurden Armee- und Polizeieinheiten aufgestockt. Eine Deeskalationsstrategie strebt der Premier nicht an: Nach dem enormen Ausbau jüdischer Siedlungen in und um Ostjerusalem und den Massenzerstörungen illegal errichteter Häuser palästinensischer Familien will er in Ostjerusalem nun auch die Häuser der Terroristenfamilien schleifen lassen - was unter den Palästinensern nur weiter Hass und Wut schüren wird. Für viele Israelis hat der neue Palästinenseraufstand ohnehin längst begonnen - sie merken es alltäglich an der Angst, die sie mit jedem Schritt und an jeder Straßenecke spüren. Die Hoffnungslosigkeit wächst auf beiden Seiten.