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+++ In Jerusalem jagte eine Krisensitzung die andere. | Gegenseitige Schuldzuweisungen.
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Jerusalem. (ap) Der Wahlsieg der Hamas hat die israelische Politik völlig unvorbereitet getroffen. Während in Jerusalem eine Krisensitzung die andere jagte, schwiegen sich die Teilnehmer in der Öffentlichkeit aus. Intern aber machten sich die Parteien gegenseitig für den Erfolg der Fundamentalisten verantwortlich. Die neue Lage könnte den Hardlinern im Likud-Block vor der Parlamentswahl am 28. März Auftrieb geben.
Vor der Wahl der Palästinenser hatte die israelische Regierung damit gerechnet, dass die Hamas allenfalls als Juniorpartner in einer neuen Regierung vertreten sein könnte. Nach der Nachricht von der absoluten Mehrheit der Hamas kamen die Führung der Streitkräfte und hohe Beamte des Außenministeriums zusammen, um die möglichen Folgen zu diskutieren. Auch beim Likud-Block und bei der Arbeitspartei gab es Krisensitzungen. Am Abend erörterte Ministerpräsident Ehud Olmert die neue Lage mit seinem Sicherheitskabinett. Nach der dreistündigen Sitzung gab er als Richtlinie aus: "Der Staat Israel wird nicht mit einer palästinensischen Regierung verhandeln, wenn diese auch nur zu einem Teil aus einer bewaffneten terroristischen Organisation besteht, die zur Zerstörung des Staates Israels aufruft."
Eigentlich hatten die Friedensverträge der 90er Jahre terroristische Gruppen von einer Beteiligung an palästinensischen Wahlen ausgeschlossen. Aber Israel war nicht in der Lage, die internationale Unterstützung für einen Ausschluss der Hamas bei der Parlamentswahl zu gewinnen. "Dies ist ein tragisches Scheitern im Krieg gegen die Hamas", sagte der rechtsgerichtete Abgeordnete Yuval Steinitz vom Likud-Block. "Wir allein ließen Wahlen mit der Beteiligung einer Terrorgruppe zu, die zu unserer Zerstörung aufruft."
Angesichts einer von der Hamas geführten palästinensischen Regierung forderten die Regierungen im Westen die militante Organisation auf, Israel anzuerkennen und der Gewalt abzuschwören. Aber israelische Politiker zweifeln an der Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft. "Die Welt wird mit ihnen sprechen und sagen, dass sie demokratisch gewählt wurden", meinte der ehemalige Außenminister Silvan Shalom.
Ephraim Sneh von der Arbeitspartei sieht eine andere Art der Mitverantwortung Israels. Die Regierung hätte den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und die Fatah mit Zugeständnissen unterstützen können, die ihre Stellung bei den Wählern gestärkt hätten, sagte Sneh.
Der Politikwissenschaftler Hanan Crystal erwartet, dass der Wahlsieg der Hamas das Hauptthema im israelischen Wahlkampf sein wird und sagt voraus, dass dies vor allem dem Likud-Block nützen werde. Dieser hatte sich dem Plan von Ministerpräsident Ariel Sharon widersetzt, aus dem Gazastreifen abzuziehen, wo die Hamas-Bewegung ihre Hochburg hat.
Likud-Chef Benjamin Netanyahu warnte, dass sich die palästinensische Autonomiebehörde in der Hand der Hamas zu einem radikalen islamischen Regime verändern werde. "Es ist gleichgültig, mit wieviel Makeup sie die Hamas schminken, sie wird sich nicht ändern", sagte Netanyahu.
Die Tauben in der israelischen Politik setzen hingegen darauf, dass die Hamas in der Regierungsverantwortung nicht umhin kann, ihre militanten Positionen abzuschwächen. "Ich glaube, dass die Hamas Teil des politischen Prozesses sein möchte und zu Konzessionen bereit sein wird, zumindest was die öffentlichen Erklärungen betrifft", sagte der Professor für Nahostgeschichte an der Universität Haifa, Joseph Nevo. Der linksgerichtete Abgeordnete Ran Cohen hofft auf Verhandlungen über die Bildung eines palästinensischen Staates. Damit gehe dann auch eine Anerkennung Israels einher.