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Ultraorthodoxe diesmal in Opposition, Experte warnt vor Konflikten.
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Tel Aviv. Israel hat eine neue Regierung. Am Montag, zwei Tage vor dem ersten Israel-Besuch von US-Präsident Barack Obama, wurde sie im Parlament in Jerusalem vereidigt. Am Wochenende hatten die beiden Schlüsselpartner, Yair Lapid von der Zukunftspartei und der religiöse Ultranationalist Naftali Bennett von der Partei "Jüdisches Heim", ihre Unterschrift unter das Koalitionsabkommen mit Premier Benjamin Netanyahu gesetzt. Der Kern der nächsten Regierung besteht somit aus dessen rechtem Likud, der Partei "Unser Haus" des russisch-israelischen Nationalisten Avigdor Lieberman sowie der Siedler-Partei von Bennett. Das moderate Feigenblatt dieser Rechtsaußen-Koalition ist die Zukunftspartei des ehemaligen TV-Journalisten Yair Lapid. Dieser wird auch der nächste Finanzminister und konnte seine Forderung nach einem zahlenmäßig abgespeckten Ministerapparat gegenüber Netanyahu durchsetzen. Die ehemalige Oppositionsführerin Tzipi Livni ist mit ihrer Partei "Bewegung" ebenfalls in der Koalition und wird Justizministerin. Das Außenministerium bleibt für Lieberman reserviert, der derzeit wegen Betrugs angeklagt ist. Verteidigungsminister wird Moshe Ya’alon des Likud, ein ehemaliger Generalstabschef des israelischen Militärs.
Neue Fakten
Mit 68 von 120 Sitzen hat Netanyahus neue Koalition eine solide Mehrheit im Parlament. Die Verlierer sind vor allem jene, die draußen bleiben müssen. Das betrifft vor allem ultraorthodoxe Juden und die arabischen Staatsbürger. Denn ein neues Wahlgesetz soll die Qualifizierungsquote von Kleinparteien für den Einzug ins Parlament merklich anheben. Statt zwei Prozent müssen Parteien dafür in Zukunft vier Prozent der Stimmen erhalten.
Das bedroht vor allem die drei palästinensisch-arabischen Parteien in Israel, die in eine neue Krise schlittern könnten. Viele junge Araber haben den Glauben in politische Einflussnahme über Parteien schon verloren. Ihre stetig sinkende Wahlbeteiligung könnte so noch weiter einbrechen, sofern es die arabischen Parteien nicht schaffen, sich zu einer geeinten Fraktion zusammenzuschließen, sagt sie Soziologin Heba Yazbak von der arabischen Partei Balad, die bei den letzten Wahlen knapp den Einzug ins Parlament verfehlt hat. "Es kommt ein großes Problem auf uns zu", sagt sie. "2,9 Prozent der Stimmen erhielten alle arabischen Parteien zusammen. Das neue Gesetz ist mit der Vier-Prozent-Hürde klar gegen uns Palästinenser gerichtet." Man arbeite jedoch an der Gründung einer geeinten Koalition.
Schlechte Stimmung herrscht auch unter ultraorthodoxen Israelis, deren Parteien traditionell in den Regierungen saßen, jetzt aber verdrängt wurden. Aus Protest verließen mehrere Abgeordnete am Montag während der Vorstellung der Regierung das Parlament. "Die Stimmung ist ernst und zornig", sagt der Experte für zeitgenössisches Judentum, Yoel Finkelman. "Der Ausschluss aus der Koalition könnte dramatische Konsequenzen für die ultraorthodoxen Familien und Institutionen haben. Werden die Förderungen gekürzt, dürften viele Institutionen zusperren." Doch es könnte sie auch in den Arbeitsmarkt zwingen. Finkelman glaubt zwar nicht, dass ultraorthodoxe junge Männer nun plötzlich zum Militär müssen, wovon sie bislang ausgenommen waren, warnt aber: "Ich sehe Potenzial für einen enormen, gewalttätigen Konflikt."
Friedensvision begraben
Netanyahus Koalitionsschluss erfolgte rechtzeitig vor dem Besuch von US-Präsident Barack Obama, der ab Mittwoch für drei Tage in Israel, im Westjordanland und in Jordanien sein wird. "Friedensplan" habe er diesmal keinen in der Tasche, heißt es. Stattdessen dürften Syrien und der Iran Thema sein. Damit passt er die US-Außenpolitik einer desillusionierenden Realität an: Die Dynamik israelischer Koalitionsverhandlungen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl Netanyahus Likud als auch die anderen nationalistischen Parteien gemeinsam ein organisches Bollwerk gegen jede realistische Friedensoption darstellen. Lieberman kündigte bereits an, jeden Versuch, den nach internationalem Recht illegalen Siedlungsbau einzufrieren, blockieren zu wollen.
Anderswo deuten die Zeichen auf eine andere Art des Wandels. Während sich die Zahl der von israelischen Soldaten erschossenen, unbewaffneten Palästinenser im Westjordanland erhöht, werden neben wütenden Protesten mit Steinen auch die Begräbnisse der "Märtyrer" in den Flüchtlingscamps der Westbank aggressiver. Maskierte Milizen mit Maschinengewehren sind dort vermehrt zu sehen. Israels eiserne Faust in den besetzten Gebieten birgt reichlich an Zündstoff. Die Frage ist dann nicht mehr, wann die für Israel bequeme Ruhe im Westjordanland endet, sondern wann und wie der Sturm beginnt.