Die Ermordung des Tschetschenen Umar Israilow am 13. Jänner 2009 in Wien hat nun auch den Europarat beschäftigt. In einem Report des Schweizer Abgeordneten Dick Marty geht es allgemein um die Menschenrechtslage im Kaukasus und speziell um Israilows Tod.
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Längst vermutet auch die Wiener Staatsanwaltschaft eine Verbindung des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow (beziehungsweise eines Vertrauten) zu den Angeklagten im Wiener Mordfall; die These, dass Israilow wegen seiner Anklage gegen Kadyrow beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sterben musste, scheint sich zu bewahrheiten.
Die Zivilbevölkerung in Tschetschenien und immer mehr Teilen des Nordkaukasus lebt zwischen den Fronten des Krieges zwischen Kadyrows Milizen und islamistischen Dschihadisten und wird als Folge der Moskauer Selbstmord-Attentate noch vehementer eingeschüchtert. Dieses Klima hält Tschetschenen davon ab, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden und ihre Fälle betreffend Folter, Misshandlung, Tötung oder Entführung von Verwandten vorzubringen. Sie fürchten um ihr eigenes oder um das Leben ihrer Familie und Verwandten. Der Mord an Israilow Anfang 2009 war eine weitere deutliche Drohung an jene, die den Mut haben, sich gegen den mächtigen Präsidenten zu stellen. In der "New York Times" spielte Kadyrow die Anschuldigungen als lächerlich herunter: Es sei dumm, jemanden am helllichten Tag, mitten in der Stadt zu ermorden, sagte er. "Warum sollte ich das tun?"
Eine plausible Antwort wäre sicherlich: um mögliche weitere Ankläger vor dem Gericht in Straßburg von diesem Schritt abzuhalten; um darauf hinzuweisen, dass Kadyrow in der Lage ist, jeden überall und jederzeit aufzuspüren und auszulöschen. Egal, ob nun er den Mord beauftragt hat oder nicht, das Ziel der Einschüchterung wurde jedenfalls erreicht - sowohl in Tschetschenien als auch unter der tschetschenischen Flüchtlingen im Ausland.
Ein Blick zur tschetschenischen Diaspora in Österreich: In den vergangenen Jahren wurde die Asyl-Gewährung für tschetschenische Asylwerber sukzessive verschärft. Als Grund wird - gestützt auf teils wissenschaftlich fragwürdige Studien - die verbesserte Lage im Herkunftsland genannt. Die Anerkennungsrate von tschetschenischen Asylwerbern in Österreich fiel innerhalb der vergangenen fünf Jahre völlig unverständlicherweise von mehr als 90 auf 30 Prozent. Viel eher spiegeln die Asyl-Antragszahlen die tatsächliche Situation in Tschetschenien wider: 2009 stellten 3500 Tschetschenen Anträge - so viele Flüchtlinge wie aus keinem anderen Land suchten in Österreich Schutz.
Es bleibt zu hoffen, dass die Asylbehörden die menschenrechtlich prekäre Situation im Nordkaukasus bei den Verfahren berücksichtigen und Kadyrows gebetsmühlenartig wiederholter Mär von Tschetschenien als "sicherer Region" keinen Glauben schenken.
Herwig Schinnerl ist Ethnologe mit Forschungsschwerpunkt Kaukasus.