Zum Hauptinhalt springen

Ist AstraZeneca der schlechtere Impfstoff?

Von Cathren Landsgesell

Wissen

Der Reputationsverlust hat auch damit zu tun, dass Medien von der Wissenschaft vor allem eines wollen: Ergebnisse.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Image von AstraZeneca war wohl schon angeschlagen, bevor Anfang März dieses Jahres die Sinusvenenthrombosen auftraten.

Diese Fälle sind bis heute extrem selten, inzwischen gibt es, zumindest in Westeuropa, die Möglichkeit, die Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Als "VITT" hat das Phänomen auch einen Namen bekommen. Die Europäische Arzneimittelbehörde, EMA, schätzt das Risiko auf einen Fall bei 100.000 Impfungen für den AstraZeneca-Impfstoff, auf 3,5 Fälle je einer Million Impfungen bei Johnson & Johnson, ebenfalls ein Vektorimpfstoff, der mit Adenoviren arbeitet.

AstraZeneca liegt damit über der sogenannten Hintergrundinzidenz, der natürlichen Häufigkeit der speziellen Thrombosen. Warum sie bei AstraZeneca gehäuft auftreten, ist noch Gegenstand der Forschung. Dänemark verimpft AstraZeneca nicht mehr. Die EMA hält an dem Impfstoff fest.

Hausgemachte Skepsis

Als die Thrombosen auftraten, war die Reputation des Impfstoffs bereits beschädigt, die Komplikationen ein Tüpfelchen auf dem i.

"Ich denke, nicht nur die Thrombosen, sondern generell das schlechtere Image von AstraZeneca hat dazu beigetragen, die generelle Impfskepsis zu erhöhen und die europäischen Impfkampagnen zu bremsen", sagt der auf die Prävention von Infektionskrankheiten spezialisierte Mediziner Paul Hunter von der Universität East Anglia in Großbritannien. Vor dem Hintergrund der heraufziehenden Dominanz der Delta-Variante sei das eine gefährliche Situation. "In Ländern wie Frankreich oder Deutschland werden unnötigerweise Menschen sterben."

Die Impfskepsis ist zu einem Teil hausgemacht und hat damit zu tun, wie über Risiken in Zeiten der Pandemie kommuniziert wird, ist Hunter, wie auch andere Wissenschafter, überzeugt. AstraZeneca kann gewissermaßen als Paradebeispiel dafür stehen.

"Das ist ein Marketingdesaster sondergleichen. Das wird noch in die Lehrbücher eingehen", erklärt Herwig Kollaritsch, Immunologe der MedUni Wien und Mitglied des Nationalen Impfgremiums in Österreich NIG.

Für ihn begann die Verwirrung um AstraZeneca bereits mit der Zulassungsstudie im November 2020. AstraZeneca hatte eine Subgruppe in diese Studie inkludiert, die - womöglich aus produktionstechnischen Gründen - eine geringere Dosis des Impfstoffs erhalten hatte. In dieser Gruppe erzielte der Impfstoff die höchste Wirksamkeit, 90 Prozent. Zur Zulassung eingereicht wurde eine Studie mit den normalen Dosierungen und geringerer Wirksamkeit (62 Prozent). AstraZeneca kommunizierte eine Berechnung, die beides vermischte, nämliche eine Wirksamkeit von 70 Prozent. "So kann man doch bitte keine Statistik machen. Das ist unsauber", sagt Kollaritsch.

Während die Fachöffentlichkeit rätselte, wie es zu der höheren Wirksamkeit bei der gemischten Dosierung kam (die es letztlich nicht gab, da der Effekt, wie sich herausstellte, auf den Abstand zwischen den Dosen zurückging), setzten sich die Impfkommissionen in Europa mit der Frage auseinander, ob der Impfstoff für ältere Menschen über 65 Jahren tauglich sei. Man befürchtete, er sei in der Altersgruppe nicht wirksam.

Die deutsche Impfkommission, abgekürzt Stiko, empfahl den Impfstoff schließlich nicht für diese Altersgruppe. In Frankreich beendete Staatspräsident Macron die Debatte, indem er erklärte, der Impfstoff sei für Ältere "praktisch unwirksam". "AstraZeneca hat viel zu wenig Probanden über 65 in die Studien inkludiert", sagt Hunter. Der Effekt: Die fehlenden Daten wurden als Beleg für die Unwirksamkeit des Impfstoffs in der Altersgruppe gesehen.

"Von den Medien ist manchmal die Abwesenheit von Evidenz als die Evidenz von Abwesenheit eines Schutzeffekts gesehen worden. Und das war dann wahnsinnig schwer wieder einzufangen", sagt Kai Kupferschmidt. Der Molekularbiologe und Wissenschaftsjournalist, er schreibt für "Science" den "Tagesspiegel" und hat einen eigenen Viren-Podcast, Pandemia, sieht die Medienlogik am Werk: Zwischen Journalismus und Wissenschaft klafft eine Kluft. Dem Journalismus geht es um das Neue, der Wissenschaft um die Gesamtschau der verfügbaren Evidenz. Wenn sich Evidenzen ändern, was in der Wissenschaft normal ist, aber im außerpandemischen Rhythmus nicht auffällt, entsteht der Eindruck der Irreführung. Wollte man der Wissenschaft gerecht werden, müsste man "zu 95 Unsicherheit kommunizieren, denn alle Daten kommen mit Einschränkungen und diese fallen zu oft unter den Tisch." Die Pandemie sei Gelegenheit, umzudenken, meint er. "Man muss niemandem mehr Wissenschaft schmackhaft machen, indem man zuspitzt."