)
Immer mehr Österreicher arbeiten ohne Anstellung. Sie sind neue Selbstständige, freie Dienstnehmer, haben Ich-AGs oder McJobs. Eine Übersicht über die "neuen" Arbeitsformen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Was machst du beruflich?" Diese Frage kann Kathrin Kern nicht so leicht beantworten. Die Germanistin ist PR-Beraterin, Texterin, gibt Nachhilfeunterricht und gestaltet Websites. Je nach Auftragslage. "Aber eigentlich bin ich neue Selbständige", fügt die 31-jährige hinzu. Sie arbeitet auf Werkvertragsbasis und schätzt ihre flexiblen Arbeitszeiten. Dafür hat sie kein fixes Einkommen und nimmt Jobs in Kauf, die nur mäßig bezahlt sind. Mindestlöhne laut Kollektivvertrag gibt es nicht. Sie hat weder das Recht auf Arbeitslosen- oder Urlaubsgeld noch auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit. Bleiben die Aufträge aus, oder wird sie krank, hat sie ein Problem.
Stetige Zunahme flexibler Arbeitsformen
Kern gehört wie ein Drittel aller Arbeitnehmer in Österreich zu den atypisch Beschäftigten. Und es werden immer mehr. Dazu zählen Erwerbstätige, die weder eine unbefristete Vollzeitanstellung haben noch klassische Gewerbetreibende sind: Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte, Tele-, Zeit- sowie Leiharbeiter. Die Kerngruppe bilden freie Dienstnehmer und neue Selbstständige, obwohl sie mit dem klassischen Unternehmerbegriff kaum etwas verbindet. Eva Scherz von work@flex (Interessengemeinschaft der Gewerkschaft der Privatangestellten) spricht von "jeweils 60.000 neuen Selbständigen und freien DienstnehmerInnen in Österreich mit mangelhaften sozialrechtlichen und keinerlei arbeitsrechtlichen Schutz".
Arbeitnehmer wünschen sich meist eine Anstellung, die maximale Sicherheit bietet. Arbeitgeber sehen das genau umgekehrt: je freier das Verhältnis zu den Arbeitnehmern, desto weniger arbeitsrechtliche Pflichten und weniger Kosten für die Sozialversicherung fallen an und umso flexibler lassen sich die Arbeitskräfte auf- und abbauen.
Neue Selbständige sind meist auf Basis eines Werkvertrags tätig und haben keinen Gewerbeschein. Sie bekommen den Auftrag für ein bestimmtes Werk. Wann, wo und wie die Atypischen arbeiten ist nicht vorgeschrieben. Kathrin Kern kann die Websites selbst gestalten oder Dritte beauftragen. Sie arbeitet mit eigenen Produktionsmitteln und bestimmt ihre Arbeitszeit selbst. Neue Selbständige sind oft in Bereichen wie IT, Medien, Kunst und Sport tätig. Der Akademikeranteil ist auffallend hoch und der Frauenanteil überwiegt.
"Der Auftraggeber muss sich weder um Sozialversicherung noch Steuern kümmern, hat keine Kosten bei Krankheit der ArbeitnehmerInnen, vergibt Aufträge nur bei guter Auftragslage", sieht Scherz die Vorteile für den Unternehmer. Neue Selbständige zahlen für Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung bei der Gewerblichen Sozialversicherung (GSVG) - ohne dass ihnen der Auftraggeber etwas zuschießt.
Weder Angestellter noch Unternehmer
Anders bei den freien Dienstnehmern: Auftraggeber und -nehmer teilen sich die Beiträge zu Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung (ASVG). Doch auch ihnen steht weder Arbeitslosenversicherung noch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu. Freie Dienstnehmer werden rechtlich als Selbständige behandelt, sind aber meist nur von einem einzigen Auftraggeber abhängig. Offiziell sind sie an keine bestimmten Arbeitszeiten gebunden und können sich im Unterschied zu Angestellten vertreten lassen. Die Realität sieht anders aus. "Oft handelt es sich um Umgehungsverträge, da freie Dienstnehmer die gleichen Aufgaben und Pflichten wie Angestellte erfüllen", sagt Scherz. Allerdings ohne die gleiche soziale Absicherung. Sie leben mit dem Risiko, im Falle einer längeren Krankheit oder bei Verlust des Arbeitsplatzes keine Existenzabsicherung zu haben. Ein Recht auf Mindesthonorarsätze, innerbetriebliche Mitbestimmung, Weiterbildung und Kündigungsfristen haben die neuen Atypischen auch nicht.
Wer meint, ein verdecktes Arbeitsverhältnis zu haben, kann laut der GPA-Mitarbeiterin seinen Vertrag bei der Sozialversicherung überprüfen lassen. "Wie ein Vertrag ausformuliert ist, ist für das Gericht unerheblich. Der Inhalt des tatsächlichen Rechtsverhältnisses wird geprüft und beurteilt", erklärt Rechtsanwalt Heinz-Wilhelm Stenzel im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Zieht der Dienstnehmer dann gegen seinen Arbeitgeber vors Arbeitsgericht mit der Behauptung, ein echter Dienstnehmer zu sein, kann er laut Stenzel "grundsätzlich folgende Ansprüche nachfordern: Gehalt zur Kollektivvertragshöhe, Urlaubsersatzleistung, Entgeltfortzahlung bei Krankheit, Abfertigung, Sonderzahlungen (13. und 14. Gehalt)".
Arbeitsmarkt im Wandel
Vorbei sind die Zeiten, in denen Schul- oder Uni-Abgänger in einem Unternehmen ihre Karriere starteten und dort bis zur Pension blieben. Flexibilität und Mobilität sind heute angesagt. Neue Selbständige und freie Dienstnehmer sind längst nicht nur mehr unerfahrene, alte oder schlecht ausgebildete Menschen. Im Gegenteil. "Das neue Phänomen zieht sich durch alle Berufsgruppen", bestätigt Scherz. Laut einer von ÖGB und AK durchgeführten Studie sind "Atypische" meist jünger als 35 Jahre, weiblich und haben Matura. In der Stunde liegt der Netto-Durchschnittsverdienst bei 7,73 Euro. Normalbeschäftigte verdienen im Schnitt 10 Euro. 60% der Betroffenen sind nicht freiwillig atypisch beschäftigt. Die Hälfte von ihnen strebt eine fixe Anstellung an. Auch Kathrin Kern wäre ein klassisches Angestelltenverhältnis lieber. Doch der Arbeitsmarkt bietet keine Alternativen. "Durch die Selbständigkeit schaffe ich mir meinen eigenen Arbeitsplatz", sagt Kern.
Arbeitslose, die sich aus einer Notlage heraus als Ein-Personen-Unternehmen, selbständig machen bezeichnet man oft als "Ich-AGs". Müssen mehrere, schlecht bezahlte, Jobs angenommen werden, um finanziell über die Runden zu kommen, spricht man von "McJobs". Was macht Kathrin Kern nun beruflich? Antworten kann sie demnach auch mit "McJobs" oder "Ich bin eine Ich-AG".
Infos unter www.interesse.at (work@flex) und www.oegb.at (Flexpower)