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Paris - Abbildungen von US-Präsident George W. Bush mit Hitler-Schnauzbart und Hakenkreuz auf Pariser Anti-Kriegs-Kundgebungen mögen Randerscheinungen sein. Aber die anti-amerikanischen Grundgefühle unter französischen Jugendlichen bereiten der Regierung in Paris inzwischen ernsthaft Kopfzerbrechen. Von den 15- bis 25-Jährigen äußerten bei einer Umfrage 24 Prozent die Hoffnung, nicht die amerikanisch-britische Koalition, sondern der Irak werde aus dem Krieg als Sieger hervorgehen.
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Ein Teil scheint kein Problem darin zu sehen, den Sieg des Diktators zu wünschen. Wie ein Akne-Anfall sei der "Anti-Amerikanismus" über die Jugend gekommen, befand das Wochenmagazin "L'Express". Immer lauter fragen selbst Anhänger von Präsident Jacques Chirac, ob der Staatschef im Widerstand gegen Bush "zu weit gegangen" ist.
Nachdem bei den Friedensdemos tausende junger Franzosen "Bush - Mörder!" gerufen hatten und amerikanische Flaggen verbrannt wurden, nachdem auf das Mahnmal eines britischen Soldatenfriedhofs in roter Farbe "Rosbeefs go home" gesprüht worden war, platzte Premierminister Jean-Pierre Raffarin der Kragen. Die Amerikaner seien schließlich keine "Feinde" und Frankreich zähle zum "Lager der Demokratie", schärfte er seinen Landsleuten ein. Doch bei den Jugendlichen wird Raffarin so schnell nicht durchdringen. Nur neun Prozent verbanden in der Umfrage die USA mit Kultur, nur 13 Prozent mit Freiheit, aber 42 Prozent mit Ungleichheit und 56 Prozent mit "Macht".
Anti-amerikanische Stimmungen haben in Frankreich eine lange Geschichte. Sie sind, weit tiefer als etwa in Deutschland, im ganzen politischen Spektrum verwurzelt. Schon Anfang des Jahrhunderts tat sich Georges Clemenceau, der Wortführer der Linken, mit dem Ausspruch hervor, die USA seien "das einzige Land, das von der Vorgeschichte in die Dekadenz übergegangen ist, ohne zuvor das Stadium der Zivilisation zu erreichen". Generationen von Schülern wurde beigebracht, der Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg habe nicht in erster Linie dem Wiederaufbau Westeuropas, sondern der Dominanz der USA und der Subventionierung amerikanischer Unternehmen gedient.