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Ist das jetzt die erhoffte Wende in der EU-Wirtschaftspolitik?

Von Kurt Bayer

Gastkommentare
Kurt Bayer ist Ökonom und war Board Director in Weltbank (Washington, D.C.) und EBRD (London) sowie Gruppenleiter im Finanzministerium. Er bloggt unter kurtbayer.wordpress.com.

Makroökonomie ist für die EU-Kommission ein Fremdkonzept. Ihr Verständnis von Wirtschaftspolitik beschränkt sich auf Budgetpolitik und Angebotspolitik.


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Kürzlich hat die EU-Kommission ihre Bewertung der Wirtschafts- und Reformprogramme der Mitgliedsländer vorgestellt und die so genannten "länderspezifischen Empfehlungen" gegeben. Kommissionspräsident Barroso sprach bei der Vorstellung von der Notwendigkeit, die Sparbemühungen etwas zu lockern und aktiv die Arbeitslosigkeit, besonders die horrende Jugendarbeitslosigkeit zu verringern, wofür sechs Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden sollen. Wachstumsförderung ist plötzlich kein Tabuwort mehr.

Technisch hat die Kommission die Stabilitätsprogramme (bis 2017) und die Reformprogramme der Länder bewertet. Die an Österreich gerichteten Empfehlungen sollen als Beispiel gelten.

Wirtschaftswachstum kommt in der Analyse nur insoweit vor, als die österreichischen BIP-Prognosen als eher optimistisch eingestuft werden. Den ersten Stellenwert in der Bewertung nimmt wiederum die Budgetkonsolidierung ein, deren Pfad als positiv bewertet wird, da das mittelfristige Ziel (strukturelles Defizit 0,45 Prozent) bereits zwei Jahre früher erreicht werden soll. Die österreichischen Ausgabenquoten werden als optimistisch bewertet. Im Steuerbereich moniert die Kommission die niedrigen Immobiliensteuern, deren Erhöhung am wenigsten wachstumsschädlich wäre.

Die relevantesten Kritikpunkte betreffen den Arbeitsmarkt: die niedrige Frauenerwerbsquote, die hohen genderspezifischen Einkommensunterschiede, das weiterhin nur sehr langsam sich angleichende Pensionsantrittsalter für Frauen, die hohe Inanspruchnahme von Frühpensionen, die äußerst niedrige Erwerbsquote der Älteren, die schlechten Schulleistungen bei hohen Kosten, vor allem bei Migranten. Dies alles vor dem Hintergrund des Lobes für die relativ niedrige Arbeitslosigkeit.

Für all diese Bereiche wird empfohlen, das Reformtempo zu verschärfen. Und so richtig diese Kritikpunkte sind, ihre Umsetzung allein bringt von selbst kein Wachstum hervor. Eine Ausweitung der effektiven Nachfrage Gesamteuropas kommt nicht vor, die strukturellen Probleme des Bankensektors werden nicht erwähnt.

Das größere Problem ist, dass es noch immer keine auf ganz Europa ausgerichtete Wirtschaftspolitik gibt. Land für Land werden Vorschläge zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und eventuell zur Verlangsamung des Austeritätspfades gemacht, das Wort "Gesamtnachfrage" kommt nicht vor. Authentisch Barroso: "Now is the time to step up the fundamental economic reforms that will deliver growth and jobs..."

Nur in ihrem Dokument zur Eurozone erwähnt die Kommission das Ziel, durch Koordinierung (der Budgetpfade und Strukturreformen) einen adäquaten Policy Mix zu erreichen, aber keine Rede ist von der viel relevanteren Abstimmung der Fiskal- mit der Geldpolitik der EZB. Makroökonomie ist für die Kommission ein Fremdkonzept. Ihr Verständnis von Wirtschaftspolitik beschränkt sich auf Budgetpolitik und Angebotspolitik.

Das ist keine Wende, keine Einsicht in die vergangenen Fehler, nur ein Nachhinken eines verfehlten Konzepts. Wir brauchen eine echte Wirtschaftspolitik.